Egal wie toll das neu gebaute Haus ist, wie gemütlich die neue Wohnung, oder wie sehr sich schon alle auf das neue Zuhause gefreut haben. Ein Umzug ist eine große Veränderung für Kinder. Manche haben diese Erfahrung selbst in ihrer Kindheit gemacht. Andere wiederum haben erst als (junge) Erwachsene zum ersten Mal den Wohnort gewechselt und können sich vielleicht gar nicht so recht vorstellen, wie das Erleben als Kind sein könnte. Und oft einmal steht ein Umzug ins Haus, wenn Eltern sich trennen.
In diesem Blogbeitrag erzählt Psychotherapeut Lukas Wagner aus seiner Praxiserfahrung und gibt hilfreiche Tipps, wie ihr eure Kinder bei dieser Veränderung unterstützen könnt.
Immer wieder erzählen Klient*Innen in der Psychotherapie von Umzugserlebnissen als Kinder und Jugendliche. Ein Elternteil hat einen neuen Job, das Haus ist fertig gebaut, der Mietvertrag läuft aus, der / die neue Partner*In verfügt über eine bessere Wohnmöglichkeit.
Wir erinnern uns an diese Umzüge, oft auch noch Jahrzehnte später. Für manche meiner Klient*Innen sind das angenehme Erinnerungen, für viele jedoch nicht. Sie erinnern sich an ihre Verwirrung als Kind, daran, dass so viel Vertrautes plötzlich weg war und von einen Tag auf den anderen alles anders war. Bei einem Ortswechsel vielleicht sogar die Freund*Innen und die Schule. Es riecht anders, die Geräusche ändern sich und die Dinge sind plötzlich nicht mehr dort wo sie waren.
Ich frage meine Klient*Innen immer, was sie damals denn gebraucht hätten. Bei einem schnellen „ich weiß es nicht“ frage ich noch viel genauer nach. Es deutet für mich oft darauf hin, dass der emotionale Anteil noch tiefer sitzt und wir uns sozusagen durch „Ratlosigkeit“ schützen. Die Antworten, die ich bekomme, sind alle unterschiedlich und doch im Kern ähnlich:
- Ich hätte Vorbereitung gebraucht.
- Ich hätte es gebraucht, dass die ersten Nächte jemand bei mir schläft.
- Ich hätte die Wohnung vorher gerne gesehen.
- Ich hätte gerne gewusst, wann ich meine Freund*Innen wieder sehe.
- Ich hätte gerne mitentschieden, welche Wohnung es wird.
Unterstützen bei Sicherheit und Selbstbestimmung
In allen diesen Aussagen (und noch vielen mehr) stecken für mich zwei elementare Faktoren: Sicherheit (Bindung) und Selbstbestimmung (Autonomie). Davon ausgehen, dass wir Menschen immer zwischen diesen beiden Polen unterwegs sind, sind es auch genau diese Punkte wo wir, vor allem als Kinder und Jugendliche so verletzlich sind.
Der Umzug, der so plötzlich kommt, nimmt uns das Zuhause, das Vertraute, die Sicherheit und auf der anderen Seite auch gleichzeitig unsere Selbstbestimmung, unser wichtiges Gefühl, dass wir die Welt um uns herum (mit)gestalten können und dürfen. Diese Bruch-Erlebnisse hinterlassen ihre Spuren, oft auch noch viele Jahre später. Dazu kommt die anschließende Notwendigkeit sich einen neuen Raum anzueignen, der anfangs fremd ist und erst zu unserem werden muss.
In der Psychotherapie gelingt es oft im Nachhinein diese Verletzungen ein wenig zu heilen. In dem wir uns selbst in diesem Moment damals verstehen dürfen, können wir uns als Erwachsen das geben, was wir als Kind nicht bekommen haben. Wir können neue Erfahrungen machen: Sicherheit, Geborgenheit und auch Autonomie. Wir können dem Kind von damals sagen, dass es jetzt an der Welt teilnehmen darf und beide Pole in ihm lebendig gelebt werden dürfen.
Auf Basis dieser Erfahrungen und meiner zusätzlich Arbeit mit Eltern haben sich folgende Vorbereitungen auf einen Umzug bewährt. Diese Vorbereitungen sind selbstverständlich nur Empfehlungen, sollen abgewandelt und verändert werden. Sie sind für Kinder und Jugendliche unterschiedlichen Alters geeignet und dürfen damit natürlich auch an das konkrete Alter angepasst werden.
Die Vorbereitung
Ein zentraler Punkt ist das Gefühl der Überraschung, wenn im Gefühl des Kindes der Umzug ganz plötzlich passiert, nicht vorhersehbar ist. Vorbereitung ist damit ganz zentral um den Übergang gut zu gestalten. Hierfür hilfreich ist:
· Möglichst früh ansprechen, dass ein Umzug anstehen wird.
· Die neue Wohnung / das neue Haus vor dem Umzug begehen, genau anschauen, nach den Wünschen des Kindes für die Raumgestaltung fragen.
· Einen Countdown-Kalender machen. Noch 10 mal schlafen, noch 9 mal schlafen, …
· Auf der Weltkarte / Straßenkarte die neue Adresse herzeigen. Das bringt Orientierung.
· In der neuen Gegend spazieren gehen, das Kind ruhig dabei die Führung übernehmen lassen. Selbst dabei neugierig sein, auch wir müssen die Welt um uns herum ja jetzt neu entdecken
· Mit dem Kind konkrete Pläne machen, wie es mit Freund*Innen und Schule weitergeht
Beim Umzug selbst...
Beim Umzug halte ich es für wichtig, dass das Kind (soweit möglich) mithelfen darf und damit von Anfang an den neuen Raum mitgestaltet.
· Je nach Alter des Kindes kann es wichtig sein den Raum möglichst ähnlich dem alten Kinderzimmer zu gestalten, inklusive Bilder und der Bettwäsche, die noch so riecht wie in der alten Wohnung. Bei älteren Kindern kann gerade das Umstellen das Spannende, Neue sein. Das Kind wird sich mit seinen / ihren Bedürfnissen melden.
- Möglichst schnell für das Kind eine fertige „Insel“ erschaffen, damit der wichtige sichere, vertraute Ort bald wieder da ist.
- Den Umzug als Abenteuerreise gestalten. Ein gemeinsamer Aufbruch in etwas neues, ein Gruppenabenteuer für Held*Innen. Dadurch bekommt der Umzug den Charakter einer Geschichte, mit Anfang und dem – von Geschichten gewohnten – guten Ende. Die Familie bricht auf zu neuen Ufern, erreicht diese dann auch, schlägt ihr Lager auf und wohnt jetzt auf einer neuen Insel.
- Zu guter Letzt: Abschied nehmen vom alten Zuhause. Abschiede sind Teil des Lebens, die alte Wohnung / das alte Haus hat ihren Zweck erfüllt und ist damit auch Teil der eigenen Geschichte geworden, mit allen guten und schlechten Erinnerungen. Ein letzter Spaziergang durch die leeren Räume und ein Erzählen von Geschichten, die dort stattgefunden haben, kann hier hilfreich sein. Trauer ist Teil des Abschieds – nicht schönreden, sondern zulassen und verstehen ist hier die Devise.
Nach der Ankunft
Willkommen im neuen Zuhause. Auszug und Umzug sind überstanden. Jetzt geht es darum, sich den neuen Ort anzueignen und dort wieder volle Sicherheit erleben zu dürfen. Die Zeit nach dem Umzug dient also dem Erschließen und Zum-Eigenen-Machen.
- Für manche Kinder ist es wichtig eine oder mehrere Nächte nicht alleine zu schlafen, da die Umgebung noch zu fremd ist.
- Wenn Freund*Innen zu Besuch kommen, können Kinder / Jugendliche (abhängig vom Alter) schon erste Führungen geben und das neue Familienzuhause herzeigen.
- Ein Versteck einrichten. Oft reicht hierfür schon ein Tisch und eine Decke. Ein schneller Weg zu einem sicheren Ort, der dem Kind gehört.
- Wenn Kinder / Jugendliche Angst wegen neuen Freund*Innen oder der neuen Schule haben, ist es wichtig, dass diese Angst Platz bekommt. Wegreden und Schönreden ist nicht hilfreich. Die Angst ist berechtigt und will verstanden werden. Hilfreicher als Relativierungen sind gemeinsame Pläne. Dem Kind klar machen, dass es Unterstützung bekommen wird von den Eltern – bei der Freund*Innensuche, bei der neuen Schule
Um einen Umzug gut über die Bühne zu bringen ist es wichtig, den Kindern und Jugendlichen im Prozess Parteienstellung zu geben: Sie dürfen von Anfang an aktiv mitgestalten, werden gehört und – im Rahmen des Möglichen – wird auf ihre Wünsche eingegangen. All das kann die Angst und Unsicherheit, das Gefühl von Fremdbestimmtheit ein bisschen mindern. Sollten Kinder wütend auf die Eltern werden, ist selbstverständlich auch das etwas, was ihnen zusteht – es ist auch unfair, wenn andere entscheiden. Diese Wut gilt es auszuhalten und zu verstehen, als Ausdruck der Hilflosigkeit, die in diesen Situationen entstehen kann.
Es muss nicht sein, dass Umzugserlebnisse noch Jahre später schmerzhafte Erinnerungen sind. Auch wenn sich das vielleicht nicht immer zu 100% verhindern lässt, können wir dennoch als Eltern unseren Teil dazu beitragen, dass der Umzug vielleicht sogar zu einem spannenden Abenteuer für die ganze Familie werden kann.