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Wenn Muttertage schmerzen, weil nicht alle Mütter toll sind.

© Katja Grach - Wenn Muttertage schmerzen, weil nicht alle Mütter toll sind.

 

An Muttertagen überschlagen sich in den social media - Timelines die Glückwünsche und Dankbarkeiten, wie toll doch die Mütter seien, und wie sehr viele das Muttersein lieben. Einige jedoch bleiben dabei still. Die, deren Mütter das Muttersein weder liebten, noch gut ausfüllten. Oder wo das gut gemeinte eben nicht gut genug war, sondern schrecklich.

An Muttertagen überschlagen sich in den social media - Timelines die Glückwünsche und Dankbarkeiten, wie toll doch die Mütter seien, und wie sehr viele das Muttersein lieben. Einige jedoch bleiben dabei still. Die, deren Mütter das Muttersein weder liebten, noch gut ausfüllten. Oder wo das gut gemeinte eben nicht gut genug war, sondern schrecklich.

 

Auf Mütter wird alles Mögliche projiziert. Z.B. seien sie schuld, wenn die Kinder "Tyrannen" seien. Außerdem sollen sie möglichst gut aussehen gleich nach der Geburt, um ihrem Status als milf gerecht zu werden. Dazu tragen sie auch noch die Grabenkämpfe zwischen den Zuschreibungen als faule Hausfrauen und Rabenmütter aus und verbreiten außerdem noch ganz viel Mutterliebe, die aus ihrem natürlichen Mutterinstinkt folge.

 

Der Muttertag ist neben seiner historischen Belastung (Nationalsozialismus z.B.) auch mittlerweile zum Anlass vieler Diskussionen  geworden - etwa um den gesellschaftlichen Stellenwert von Müttern und allem was damit einhergeht. Der Dank für Haushaltstätigkeiten am Muttertag scheint mittlerweile seltsam, wird doch an dieser klaren Rollenzuschreibung schon länger gerüttelt. An den Pralinen und Wellness-Gutscheinen als Dank für die Vielfachbelastung darf jedoch doch noch mehr gerüttelt werden. Heuer unter #muttertagswunsch - ein Hashtag, der vor allem auf die strukturellen Rahmenbedingungen hinweist.  

 

Eine Perspektive, die an Muttertagen aber sehr oft ausgelassen wird, ist die jener Kinder und Erwachsenen, die den Kontakt zu ihren Eltern abgebrochen haben (oder gerne würden). Denn nicht nur der Vatertag als Kindergarten-Event sollte hinterfragt werden (weil viele ohne Väter aufwachsen), sondern auch der Muttertag: weil viele Kinder nicht genau wissen, wofür sie eigentlich dankbar sein sollen. 

Wenn Mama die Erwartungen nicht erfüllt

Genauso viele Geschichten wie ich über nicht vorhandene Väter kenne, genauso viele kenne ich mindestens über Frauen, die nicht gerade den Preis "Mutter des Jahres" verdienen. Es sind nicht notwendigerweise Mütter aus sogenannten "Brennpunktgebieten", denen zumindest Jugendamt, SozialarbeiterInnen, ErziehungshelferInnen und uvm. zur Seite stehen. Natürlich könnte ich schreiben "leider". Aber ich meine "zumindest". Denn den Müttern, die ich meine, denen steht niemand zur Seite. Sie behandeln ihre Kinder nicht schlecht genug. Sie verdienen genug. Sie haben ihre Kinder nicht als Teenager geboren. Sie wohnen vielleicht in einem schönen Haus mit Wintergarten. Oder vielleicht hat mensch/mutter das früher auch so gemacht. Sie trinken vielleicht zu viel, aber alle anderen Familienmitglieder decken das Verhalten. Sie sprechen nur an, was nicht passt - aber anders kennen sie es auch nicht. Sie schlagen vielleicht ihre Kinder - aber nicht genug für die Notaufnahme.

 

Ich kenne so unglaublich viele Geschichten von Töchtern, die ihren Müttern Mütter sind. Die über Jahre nicht gelernt haben, ihre eigenen Gefühle und Bedürfnisse wahrnehmen zu können, geschweige denn zu benennen, weil sie ständig damit beschäftigt waren, ihre eigenen Eltern im Auge zu behalten, um auf jede Veränderung des Umfelds sofort reagieren zu können, um eine drohende Katastrophe abzuwenden.

Die Katastrophen sind dabei unterschiedlich gelagert. Manchmal ist/war es ein Wutausbruch, der verhindert werden musste. Manchmal eine Mauer des tagelangen bestrafenden Schweigens. Manchmal auch Schläge und Tritte. Beschimpfungen. Abwertungen in ihrer ganzen Palette. Manchmal aber auch die drohende Hilflosigkeit der Mutter, und das Gefühl davon aufgezehrt zu werden. 

 

Ich kenne Geschichten von nicht geschmierten Pausenbroten und solchen, bei denen nur ein Klumpen Butter zwischen die Scheiben geklatscht wurde. Von elterlich verwahrlosten Wohnungen und Töchtern, die nicht aufhören können zu putzen und versuchen mit der heimischen Perfektion den Geist der verschmähten Bedürfnisse auszutreiben. Von tausend ungeführten Gesprächen, ungesagten Liebesbekundungen und unmöglichen Umarmungen. Von den nicht vorhandenen Erinnerungen an Körperkontakt in Kombination mit "dir hat es nicht geschadet" und "einmal schreien lassen, und dann hat's gepasst."

 

Ich denke an die Generation, die ihre Säuglinge erst nach ein paar Tagen zu Gesicht bekam, als denen schon ein Fütterungsrhythmus aufgezwungen worden war. An den Umgang, den gerade auch der Nationalsozialismus der deutschen (und sicher auch der österreichischen) Mutter mit Babies beibrachte und wie lieblos unsere Eltern dadurch aufwachsen mussten. Es wundert mich nicht, dass die 68er alles mögliche daran setzen, um diese Zwänge loszuwerden, und so viele Erwachsene ihr Heil in fragwürdigen Kommunen fanden, die ihnen Therapie (von ihrem Elternhaus) versprachen und die eigenen Kinder dort genauso zugrunde gehen ließen, wie sie es selbst erfahren hatten. 

 

Wie viele Kinder gibt es, die in den entscheidenden Momenten, als sie wirklich eine Mutter gebraucht hätten (oder einen Vater), niemanden hatten, der sie trösten konnte oder wollte? Weil Mama gerade in Rage war, deprimiert, besoffen, überlastet oder sie ohnehin nicht die Person ist, zu der mensch kommt/kam, wenn es Not tat? 

 

Ich spreche psychisch kranken Eltern absolut nicht die Fähigkeit ab, gute Eltern sein zu können. Aber es braucht ein gutes Netzwerk, das Phasen der Nicht-Verfügbarkeit abdeckt, und das generell ermöglicht, Verantwortung aufzuteilen. Viele Menschen allerdings, die nicht in die Generation hineingeboren wurden, in der es keine Schande ist, in Psychotherapie zu gehen, wissen nicht einmal, dass sie psychisch krank sind, dass irgendetwas mit ihnen nicht stimmt. Sie agieren halt irgendwie - so gut sie eben können. Und ihre Kinder lernen mit dieser "Normalität" umzugehen. Sie suchen sich Strategien, um zu überleben. Parentifizierung (die Übernahme der Elternrolle durch das Kind) ist eine solche. 

Und dann ist Muttertag...

"Eine Mutter liebt ihr Kind bedingungslos (von der ersten Sekunde an)"

"Danke Mama, dass du mich so liebst, wie ich bin."

"Danke Mama, dass ich immer zu dir kommen kann."

 

Diese und viele andere Sprüche geistern an Muttertagen durchs Netz und werden via Memes nur all zu gerne geteilt und geliked. Dabei frage ich mich: Für wie viele Menschen stimmen diese Sprüche? Wie viele von uns, versuchen genau solche Mütter zu sein, obwohl wir selbst nie diese Erfahrung gemacht haben?

 

Die Stimmen derer, die an Muttertagen obligatorische Anrufe tätigen und dann doch nichts von all dem sagen, was ihnen wie ein riesiger Kloß im Hals steckt, bleiben viel zu oft stumm. Und gleichzeitig kämpfen sie oft selbst Tag für Tag, die Muster ihrer eigenen Kindheit nicht zu wieder holen, die viel gehörten Sätze nicht über die Lippen kommen zu lassen, nicht auszurasten, nicht aus Hilflosigkeit zu schlagen. Und das kann verdammt schwer sein. 

"Die Mutter", die so aufgeladen ist mit all den Projektionen - auch von Kinderseite - steht dem kindlichen Wunsch nach bedingungsloser Liebe gegenüber, der leider - auch wenn oft anders propagiert - nicht immer im gleichem Maße erwidert wird.

2 Stimmen von enttäuschten Kindern bzw. Erwachsenen...

 

"Ich trauere, weil ich nie so eine Mutter hatte, wie ich sie mir vorstelle: Eine liebende, mich wohlwollend betrachtende und verantwortungsbewusste Frau, die für mich da ist, mit der ich mich austausche und die mein Leben durch ihre Persönlichkeit bereichert. Manchmal nervt, mich Dinge lehrt, mit der ich Konflikte austragen und mit der ich gemeinsam wachsen und reifen kann."

 

Ms. Essential von essential unfairness

"An alle die keinen Weg mit den Eltern finden können,

an alle die das, was gegeben sein sollte selbst immer wieder erbauen müssen,

an alle die keine weiche Absicherung des eigenen Scheiterns im ominösen „daheim“ finden,

an alle die Herkunftsfamilie sagen, um Distanz zum Schmerz zu gewinnen

an die, die wissen, dass es eine Lüge ist, dass alle Eltern ihre Kinder lieben

an alle, die wissen, dass der Tag des Todes irgendwann kommt und es bis dahin keine gemeinsame Zeit mehr geben wird,

an alle-ohne Mamas oder Erziehungspersonen: Feiert ein weiteres Jahr in dem ihr Wege gefunden habt.

Vielleicht war die Scheidung zu euren Eltern heute 5 gute Jahre her? Feiert das!

Vielleicht habt ihr sie gerade erst hinter euch gebracht? Feiert das!

 

Ihr habt einen der schlimmstmöglichen Verluste durchgemacht, zu lernen das die größte Lüge die euch je aufgetischt wurde nicht stimmt, dass es nicht stimmt „dass alle Menschen gleich sind, weil alle von ihrer Mutter bedingungslos geliebt wurden“. Ihr seit trotzdem noch da, obwohl diese so fundamentale Absicherung der Existenz-Berechtigung nicht da ist.

 

Ihr habt gekämpft und kämpft immer wieder erfolgreich, um den Schmerz zu überleben, eure Grenzen zu erhalten und um die eigene Existenz zu sichern. Um euren Eltern es zu verunmöglichen weiter das Unsagbare zu tun: die eigenen Kinder emotional zu zerstören. Um die wenigen guten Momente nicht durch weitere dutzende Schlechte zu überlagern.

 

Ein Leben mit Leerstelle."

 

Bloggerin Schwarzrund schrieb bereits 2015 

Dabei müssen Mütter gar nicht "lieben"

Eigentlich könnte es leichter sein, wenn wir als Gesellschaft die Rolle der Mutter nicht so bedeutungsschwer aufladen würden mit Mutterinstinkten, Mutterliebe und Natürlichkeit. Natürlich, klar, da wächst ein Mensch in einem anderen heran, und das verbindet und prägt. Der Mensch, in dem etwas heranwächst hat aber genauso Erfahrungen und Lebensgeschichte hinter sich, die prägen - und zwar auch in die Richtung, ob das Handwerkszeug für eine bedürfnisorientierte Elternschaft gegeben ist, oder nicht. Lernen kann mensch das auf jeden Fall - egal mit welchem Bindungsmuster er/sie "gesegnet" ist. Bei Bindungsstörungen kommt's drauf an. Einen Versuch ist es definitiv wert. Ein Blick beim SAFE-Programm kann ich wirklich nur empfehlen. 

 

Und wir müssen Mutterschaft auch nicht alle super toll finden, nur weil es gerade sozial erwünschter ist zu sagen, dass es "das beste überhaupt" ist. Mutterliebe ist ein Konstrukt. Vielleicht hilft dieses Wissen darüber auch denjenigen, deren Bedürfnis nach einer "richtigen" Mutter nie erfüllt wurde. Vielleicht gibt es sie eben auch gar nicht...


...und können auch ehrlich mit ihren Schattenseiten umgehen


Nicht alle Kinder haben tolle Mütter,

die sie gerne feiern möchten.

Es sollte ihnen gestattet sein, auch das irgendwann kund zu tun. 


Wie erlebt ihr eure Elternbeziehungen?


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