Ein beliebtes Horrorthema von Eltern Pubertierender ist das sogenannte Sexting - Nacktbilder werden per Handy verschickt. Lukas Wagner, Psychotherapeut meint: So ungewöhnlich ist das aber nicht. Und verbieten bringt auch nichts.
Außerdem sitzt da ohnehin oft die Doppelmoral mit im Boot, wenn Mädchen gewarnt werden, obwohl die Bilder oft von Burschen weiter versendet werden. Lukas Wagner schreibt nun über die Fakten und hat ein paar Tipps für Eltern parat.
(Safer) Sexting, WhatsApp und was das Gesetz zu Nacktbildern sagt.
Folgendes Szenario...
Markus ist schwer verliebt. Isabella geht eine Klasse unter ihm in die Schule. Seit drei Monaten sind sie zusammen, seit einiger Zeit übernachten sie auch gelegentlich beim jeweils anderen. Das Thema Sex und Verhütung steht im Raum. Solange sie nicht beieinander sind, schreiben sie wild auf WhatsApp, über ihren Tag, das Vermissen und die Vorfreude auf das Wiedersehen. Sie flirten. Isabella schickt Markus ein Bild von ihren Brüsten, er ihr daraufhin ein Bild von seinem erigierten Penis.
...ist gar nicht so unüblich.
Das Verschicken von Nacktbildern, in der Fachsprache „Sexting“ genannt, kennen wir seit Ewigkeiten. Was früher vielleicht eine Polaroidkamera der Eltern oder der Fotoapparat mit Filmrolle (wer sowas noch kennt) war, ist heutzutage das Smartphone. Schnell ein Bild anfertigen, früher vielleicht ins Kuvert, heute schnell mit dem Smartphone am Klo und per WhatsApp verschicken. Klingt schon weitaus unkomplizierter als früher. Ist es auch – dauert nur ein paar Sekunden, wirkt privater, das Foto muss nicht entwickelt werden und es gibt praktisch keine Chance, dass die Eltern die (peinlichen) Bilder entdecken.
Sexting ist unter Jugendlichen weit verbreitet, wie eine Studie von Safer Internet gezeigt hat. 50% aller Jugendlichen kennen jemanden, der schon einmal ein Nacktbild von sich verschickt hat. 16% sagen, dass sie schon ein Bild von sich angefertigt haben.
Sex und Sexualität sind normale Bestandteile einer jugendlichen Lebenswelt. Dennoch gibt es bei Sexting ein paar Faktoren die mit bedacht werden sollten. Allen voran:
Ein Bild, das einmal verschickt worden ist,
kann nicht mehr zurückgeholt werden.
Es ist für immer auf einem anderen Handy oder Computer gespeichert.
Es kann von dort problemlos geteilt oder weiterverschickt werden. Spezielle Apps, die Photos angeblich nach wenigen Sekunden wieder löschen, funktionieren schlecht oder gar nicht.
Was das Recht sagt...
Bis Anfang 2016 waren Jugendliche zusätzlich für das Anfertigen von Nacktbildern in Österreich strafbar. Selbst wenn sie diese Bilder von sich selbst anfertigten und nur an ihren festen Freund oder ihre feste Freundin verschickt haben. Der Paragraph 207a StGB wurde mit 1.1.2016 entsprechend verändert. Ab sofort können mündige minderjährige Jugendliche (also Jugendliche ab 14) Nacktbilder von sich für den „Eigengebrauch“ anfertigen und versenden. Markus, aus unserem Beispiel, darf also ein Nacktfoto von seiner 15-jährigen Freundin besitzen – solange diese einverstanden ist. Er darf dieses Bild nicht weitersenden oder anderen Personen zeigen. Auf Aufforderung durch sie muss er es löschen.
Durch diese Paragraphenänderung ist es gelungen Jugendliche die Nacktbilder für ihren eigenen Gebrauch – sei es Beziehung, Freundschaft oder was auch immer – anfertigen zu entkriminalisieren. Dennoch bleibt die Möglichkeit der Strafverfolgung bei der Herstellung und Verteilung von der Kinderpornographie erhalten.
Somit ist klar: Ich darf als Jugendlicher ein Nacktbild meiner Freundin oder meines Freundes besitzen – solange diese einverstanden sind. Ich darf es nicht weitergeben. Ich darf es nicht anderen Personen zeigen. Ich darf es nicht auf eine Internetplattform laden. Diese Handlungen bleiben strafbar.
In Deutschland ist die gesetzliche Lage ähnlich wie in Österreich, das entsprechende Gesetz gilt jedoch schon seit längerer Zeit. Genauere Infos dazu hat klicksafe.de gesammelt.
In der Schweiz ist die Lage ein bisschen komplizierter. Jugendliche zwischen 16 und 18 Jahren dürfen einander Nacktbilder und erotische Aufnahmen schicken, wenn beide einverstanden sind. Wie in Österreich dürfen die Bilder nicht an Dritte weitergeschickt werden. Bei unter 16 Jährigen ist Sexting jedoch immer strafbar. Vorsicht: Da Kinder in der Schweiz bereits ab 10 Jahren strafmündig sind, können auch 12 Jährige wegen Sexting bestraft werden, die in Österreich nicht strafmündig wären. Weitere Informationen hat Lilli gesammelt.
Was können Eltern tun/sagen?
Das Betrachten und Besitzen von Nacktbildern
hat viel mit Erotik und Vertrauen zu tun,
aber auch mit Zusammengehörigkeit und Intimität.
Diese Bedürfnisse gilt es zu verstehen und zu respektieren.
Sex und Sexualität sind normale Bestandteile einer jugendlichen Lebenswelt.
Verbote sind sinnlos. Wenn Eltern sich sorgen machen, können sie dies aber ihrem Kind erzählen. Oft kann schon im Gespräch vieles geklärt werden. Auch sind die meisten medial verbreiteten Horrorgeschichten genau das: Horrorgeschichten. Sie sind nicht der Alltag im Sexting. Wie im Straßenverkehr gibt es im Internet und beim Sexting reale Gefahren, die mit bedacht werden müssen.
Der einfachste Tipp: Zeigen statt senden.
Das Nacktbild anfertigen und dem Partner oder der Partnerin das Handy für einen kurzen Moment in die Hand geben. Somit bleibt das Foto am eigenen Handy und wird nicht (digital) aus der Hand gegeben. Auch das Gesicht am Foto nicht mit zu fotografieren oder auch das Bild nach dem Spruch „weniger ist mehr“ anzufertigen kann helfen.
Bei Unklarheiten können auch die entsprechenden Info- und Beratungsstellen kontaktiert werden: Rataufdraht, LOGO JUGEND.INFO
Und wenn doch etwas passiert?
Wenn Jugendliche das Gespräch mit den Eltern suchen, weil ein Nacktbild von ihnen in Umlauf gekommen ist (in der Klasse, im Internet, auf WhatsApp) ist vor allem eines wichtig: Verständnis. Diese Situation ist oft äußert unangenehm und schambesetzt. In diesen Momenten brauchen Jugendliche das Vertrauen ihrer Eltern und Unterstützung.
Eine eindeutige Aufforderung an alle, die das Bild besitzen, es zu löschen, kann ein Anfang sein. Sollte eine massiv missbräuchliche Verwendung vorliegen, kann es auch empfehlenswert sein die Polizei einzuschalten. Die angeführten Beratungsstellen können in diesen Fällen weiterhelfen und haben Kontakte bei der Polizei sowie Unterstützungsangebote, sowohl für Betroffene als auch für Beteiligte sowie für LehrerInnen oder BetreuerInnen.
Oft kann auch der Prozess der Aufarbeitung für Betroffene längere Zeit in Anspruch nehmen. Ein Bild, das nicht mehr aus dem Internet zu löschen ist und einem immer wieder begegnen kann, stellt für viele eine anfangs außergewöhnliche Belastung dar. Ähnliches kennen wir bei Fällen von Cybermobbing oder Identitätsdiebstahl, wo es gilt, sich mit der neuen Situation auseinanderzusetzen. Eine Psychotherapie als Unterstützung kann in diesen Fällen hilfreich sein.
Und da Sexting im Übrigen kein Jugendphänomen ist, sondern zahlreiche porn revenge - Seiten davon leben, gilt für Erwachsene natürlich dasselbe Strafrecht.
Lukas Wagner ist Psychotherapeut in Graz mit Schwerpunkt Jugendliche, junge Erwachsene und den neuen, digitalen Lebenswelten. Außerdem ist er seit einigen Jahren in der Jugendarbeit tätig und hält Vorträge un Workshops rund um alles ab, was Jugendliche im Netz so treiben bzw. interessiert.