Gabriele Rothuber spricht hier nicht das erste Mal Klartext über Intersex. Meist denken wir ja daran, dass sich das biologische Geschlecht eines Menschen bei der Geburt ja relativ eindeutig zeigt - oder eben auch nicht. Bei Intersexualität muss das aber nicht sein. Körperliche Besonderheiten können auch erst in der Pubertät auftreten. Was Eltern und Fachleute bedenken sollten...
Intersex bedeutet...
Die „Diagnose“ Intersex ist auch heute noch für viele Neugeborene das Urteil anderer über ihren Körper, der anscheinend nicht in unsere Zweigeschlechterwelt passt: das Urteil darüber, von medizinischer Seite designt und genormt zu werden: ohne die Einwilligung des Kindes einholen zu können, ohne das Menschenrecht auf körperliche Integrität zu achten und ohne zu diesem Zeitpunkt wissen zu können, in welche „Richtung“ sich dieser Körper in der Pubertät entwickeln wird. Es werden Genitalien „normiert“, Neovaginen angelegt, gesunde und hormonproduzierende Keimdrüsen entfernt. Und damit der Weg vieler bereits in den ersten Lebenswochen in Richtung Trauma, Fortpflanzungsunfähigkeit, sexueller Empfindungslosigkeit etc. vorgegeben.
Laut Statistiken betrifft dies 1 bis 2 von 1000 Neugeborenen.
"Überraschungen"
Da sich Zwischengeschlechtlichkeit aber nicht auf die äußeren Genitalien beschränkt (und somit eben gleich nach der Geburt sichtbar ist), sondern auch im Bereich der Keimdrüsen (Fortpflanzungsorgane), der inneren Geschlechtsorgane, der Hormone oder des Chromosomensatzes auftreten kann, wird der Großteil intersexueller Menschen erst später im Lauf des Lebens „diagnostiziert“: Es wird festgestellt, dass Anlagen beider Normgeschlechter vorhanden sind oder ihr Körper irgendwie nicht ins Schema Mann/Frau passt.
Dies kann etwa in der Pubertät erkannt werden. Z.B. wenn bei Mädchen
- die Periode ausbleibt (bis zum 16. Lebensjahr) oder
- sie in den Stimmbruch kommen,
- der Bart zu wachsen beginnt,
- die Muskulatur sich aufbaut oder auch,
- wenn die Klitoris zu wachsen beginnt.
Bei Burschen können
- Bartwuchs und/oder Stimmbruch ausbleiben,
- die Brust zu wachsen beginnen,
- die Genitalien nicht „wie bei den anderen“ wachsen,
- Erektionen und Ejakulationen ausbleiben.
Das heißt in der Pubertät können Hormone, die scheinbar nicht zum Geschlecht passen, zu einem regelrechten „Geschlechtswechsel“ führen.
Schürt „die Pubertät“ alleine schon bei vielen Jugendlichen große Ängste und Unsicherheiten, so ist sie für Jugendliche, die eine Besonderheit in ihrer Geschlechtsentwicklung spüren, vielfach noch schwieriger:
- Bin ich normal?
- Wem vertraue ich mich an?
- Kann ich mich auf Sex einlassen?
- Muss ich jetzt Hormone nehmen?
- Meine eigenen Keimdrüsen besser entfernen lassen?
Die „Neuen“ Medien machen es vielen Jugendlichen leichter, sich mit anderen Menschen auszutauschen, Informationen über die eigene Geschlechtsentwicklung einzuholen – und das Ganze noch dazu anonym. Dass „Zuvielwissen“ ängstigen und in Panik versetzen kann (wenn man auf Seiten kommt, die – gerade im Fall von Intersex – hauptsächlich von Störung und Krankheit schreiben) wissen alle, die schon mal nach einer harmlosen Diagnose im Netz auf Suche gegangen sind!
Leider ist das Wissen um Intersex heute in der Gesellschaft sehr gering.
Noch unsere Großelterngeneration wusste, dass es „Zwitter“ gibt (ein Begriff, der heute von Nicht-Inter-Personen nicht mehr verwendet werden sollte, da er verletzend sein kann. Wenn Inter-Personen von sich als „Zwitter“ reden, ist dies oft empowernd). Weder in Schulbüchern, noch in Geburtsvorbereitungskursen, auch kaum in der Lehre von pädagogischen, beratenden oder medizinischen Berufen kommt eine (nicht pathologisierende) Auseinandersetzung mit dem Thema vor.
Kein Wunder, dass Jugendliche erstmal verunsichert sind, wenn sich der Körper nicht so entwickelt, wie sie das eigentlich dachten.
Was hilfreich ist:
Wichtig wäre es, dass diese Jugendlichen auf Fachpersonen treffen, die hinsichtlich Intersex geschult sind: Gynäkolog*innen, die „weibliche“ Menschen in Panik versetzen, weil sie im Ultraschall eine “männliche“ Prostata oder eine „verkürzte“ Scheide entdeckt haben, sind wenig hilfreich.
Neben der organischen Abklärung, die vielleicht als hilfreich empfunden werden kann, ist es jedoch besonders wichtig, dass die Jugendlichen etwa in Selbsthilfegruppen erfahren:
„Ich bin nicht allein und ich bin in Ordnung, so wie ich bin“.
(Und das Sprechen mit anderen Menschen, die ähnliches erlebt haben, ist das, was „Betroffenen“ am meisten hilft!)
Beratungsstellen sollten zusätzlich Auskunft bei allen weiteren Fragen – etwa, wo man vertrauenswürdige Gynäkolog*innen, Andrologen, Hormonspezialisten etc. antrifft – geben können.
Und die Eltern?
Selbstverständlich spielen auch die Eltern eine wichtige Rolle: Ihre Reaktion wird vermutlich (mit)ausschlaggebend sein, wie sehr sich ihr Kind angenommen fühlt und ob / welche Schritte es setzen wird.
Die Entwicklung des Kindes als Störung zu sehen
ist ein großer Unterschied dazu,
sie als Variation zu definieren.
Intersexuelle Jugendliche, die durch Chirurgie und/oder Hormontherapie etwas an ihrem Körper verändern (lassen) möchten, müssen in jedem Fall umfassend
aufgeklärt werden, damit sie sich selbstbestimmt entscheiden können. Auch über Risiken und irreversible Eingriffe (wie etwa der Entfernung von Keimdrüsen, der Reduktion
einer Klitoris etc.) – was weg ist, ist weg! Hier sollte unbedingt neben der Meinung der Medizin der Kontakt mit anderen intersexuellen Menschen gesucht werden!
Meist ist es intersexuellen Jugendlichen nicht bewusst, dass ein Leben auch außerhalb unseres starren Zweigeschlechtersystems gelingen kann.
In Österreich muss Mensch sich zwar zwischen männlich und weiblich entscheiden, um offizielle Dokumente zu erhalten (oder eine Pizza zu bestellen), damit sind jedoch keinerlei „Angleichungsmaßnahmen“ des Körpers geknüpft.
Intersexuelle Menschen können sich als Mann, Frau, irgendwie dazwischen, weder-noch, sowohl-als auch, etc. fühlen und identifizieren.
Die sexuelle Identität eines Menschen ist äußerst individuell
und kann sich auch ändern.
Danke Alex Jürgen für deine Kunstwerke!
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