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"Das muss einer von auswärts gewesen sein, der plötzlich Rechte eingefordert hat, wo es keine Rechte geben darf."

Die Autorin Andrea Stift  versammelt in Elfriede Jelinek spielt Gameboy Kurzgeschichten in den Kategorien "Dunkel", "Furunkel" und " Schunkel", die direkt unter die Haut gehen. Kennengelernt hab ich sie über die Lokalpresse, lieben gelernt habe ich sie über dieses Buch, das mir die Nackenhaare aufstellt (und über die Tatsache, dass sie der einzige Fan von Elfquest-Comics ist, den ich kenne. Ich oute dich hier mal Andrea :-) ...und mich). 
"I ♥ Irdning" ist ein Text aus der dunkeln Kategorie und dreht sich um das Thema Behinderung, Ausbeutung und das Recht auf Liebe und ist ebenfalls bereits in der Literaturzeitschrift manuskripte erschienen.


Irdning ist ein idyllischer Ort mit schöngeistigen Gemütern. In Irdning kann man tollen Tourismus begehen, Gratisschibus auf die Planneralm, Kutschenfahren oder Fische fischen wie folgt: Tolstolop, Saibling, den Amur gar. Die Einwohner von Irdning treffen sich am 18-Loch-Golfplatz zum gemütlichen Pläuschchen oder bewerfen ihre Häuser mit Blumenschmuck. Für die Irdninger Blumenschmuckhäuschen, die am alljährlichen Blumenschmuckwettbewerb teilnehmen, ist immer Weihnachten. Der Name Irdning stammt aus dem Slawischen, aber mit dieser Einsicht soll man die Einheimischen nur im Notfall konfrontieren. Die Irdninger sind ein gemütliches Völkchen, haben aber eine gespaltene Seele, wegen dem Bahnhof. In Irdning haben auch Behinderte eine Berechtigung. Heutzutage ist das ja nicht mehr so, früher war das eine Grundsatzdiskussion. Heute schiebt man auch nicht so schnell in ein Heim ab, nein, man integriert solange staatlich, bis die Integration versagt. Ungefähr mit zehn Jahren fühlt ein Großteil der Behinderten die staatliche Integration an sich versagen. Dann nennt man diejenigen, welche, nicht integrationsfähig, und kann sie wohin bringen, wo man sie nicht immer anschauen muss.

 

Da war auch einmal was in der Kleinen Zeitung, dann nie wieder. Die Irdninger lesen sowas nicht so gerne und auch die restliche Steiermark kann getrost darauf verzichten. Es sollen ja ekelhafte Dinge passiert sein. Wir lieben unsere Berge! Faszination Blasmusik! Arg würde man den Irdningern Unrecht tun, würde man diese Vorkommnisse nur auf Irdning beschränkt sehen. So geht das nicht: Engstirnigkeit will gelebt werden, nicht immer nur den anderen vorgeworfen.

 

Ein Mädchen fein, das ging allein, besser, die Eltern schickten das Wechselbälgchen aus Mangel an Alternativen schon vor vielen Jahren in ein Wirtshaus. Wie das klingt. Als hätten sie das getan, damit es sich dort vergnüge. Nein, zu arbeiten war sein Auftrag, denn das Mädchen war sozusagen mental retardiert  und daraus schloss man allgemein: Das hat es nicht so mit Vergnügen.

 

Jeden Morgen, viele Jahre später. Um zehn Uhr sperrt das Wirtshaus auf, dann kommen die ersten Übernächtigen*, bis dahin muss die Zenzi fertig sein. Sie heißt nicht wirklich Zenzi, ihr Name ist Elisabeth, doch Zenzi passt so gut zu ihr, das haben namenlose Gesichter im Trunk befunden, seitdem wird sie den Namen nicht mehr los. Elisabeth ist ein Name, den auch normale Ehefrauen und Töchter Irdnings tragen, das haben sich die Ehemänner und Väter Irdnings nicht gefallen lassen können. Das muss man schon verstehen. Die Irdninger Ehemänner und Väter haben ordentliches und kräftiges Sperma, daraus entsteht nur, was erstens normal ist und zweitens später mal das Polytechnikum besuchen kann. Zenzi also.

Vor zehn Uhr muss das Wirtshaus geputzt werden, dann, wenn die ersten Gäste kommen, verschwindet Zenzi in der Küche, damit sie keinem den Appetit verdirbt. Also Klos putzen, zwei mal zwei plus Pissoirs, und man kennt das ja: gar nicht immer einfach, den Duftstein zu treffen. Die Reinigung der dementsprechenden Hygienebehältnisse folglich kein Zuckerschlecken, aber simpel in der Abfolge der Handlungen, ergo Zenziarbeit. Auch das Reinigen der Böden, das Abwischen der Tische, das Unter-der-Tischplatte-Hervorkletzeln* der abgelutschten Kaugummis und das Entsorgen der überquellenden Mülleimer besorgt die Zenzi und beschwert sich nie. Das Beschweren hat man ihr nämlich nie beigebracht.

 

Wie und wo das Leben so spielt, gibt es auch in Irdning trotz guter Luft und Blasmusik noch zwei, drei Andere, die nicht so ganz der gstandenen Irdninger Norm entsprechen. Die gehen auch herum. Sie landen selten, aber doch, im Wirtshaus. Und einer kam, der sich gut mit der Zenzi verstanden hat, er hat die Zenzi gesehen und die Zenzi hat ihn gesehen und viele Dinge sind abgelaufen in beider Hirn und Herzen: wunderschöne Dinge. Denn Zenzi, die liebe dumme Zenzi, der niemals einer irgendetwas zugetraut hätte, die entdeckte plötzlich so Gefühle und umgekehrt vielleicht nicht anders. Wie die zwei Königskinder, die ja auch zeitlebens nicht zueinander kommen konnten, und ahnten doch nichts Böses. Zum Glück gibt es die Kleine Zeitung, die berichtete genau einmal darüber, was da passiert ist, dann nie wieder. Nicht über die große Liebe im Leben der Zenzi, zumindest aber über die Unwürden, die ihr widerfahren sind im Laufe ihres Lebens.

 

Denn Zenzi ist nun schon über vierzig, seit fünfundzwanzig Jahren oder mehr Küchenhilfe und Putzfrau und niemals hat sie noch einen Gehaltscheck gesehen. Nicht weil sich die Wirtsleute das Geld ersparen wollten: Zum größten Teil sind Wirte freigiebig und edel im Geist. Nein, so gibt die interviewte Wirtsfrau offen zu, weil die Zenzi  nicht mit dem schönen Geld umzugehen in der Lage ist, sie ist ja geistig behindert. Als reine Schutzmaßnahme hat man ihr gleich lieber gar kein Geld gegeben. Sonst hätte sie es bloß ausgegeben, das gegebene Geld und das ist ein Geldfluss, den Gastronomen nur schwer ertragen hätten: teuer verdientes Geld, dass dann nicht mehr im Wirtshaus kursiert, sondern draußen in der freien Irdninger Wirtschaft.

Im Besitz der umsichtigen Wirtsleute waren weiters die Papiere Zenzis, obwohl man kaum glauben mag, dass so Menschen, die nun nicht wirklich viel zur Gesellschaft beitragen außer Last und Quälerei, noch eigene Papiere vom Staat bekommen. Doch der Reisepass der Zenzi liegt im Kammerl der feisten Wirtin und die Eltern kümmern sich schon lange nicht mehr. Weil es ist gut, wenn man sich nicht so an die Kinder klammert, wenn die im rechten Alter sind, nein, man muss sie fliegen lassen. Die Zenzi ist also auf die Nase geflogen, als die Wirtsleute mitbekamen, dass die Zenzi eines Tages nicht mehr da war, sondern mit ihrem Schatz auf Urlaub -als wenn so eine einen Urlaub braucht- da haben sie sich dann doch mit den Eltern auf ein Packerl geschmissen und gesagt: So geht das nicht. Weg mit den Papieren, weil ohne Pass kannst du nirgends mehr hinfahren, das geht nicht, das versteht du, Zenzi, gell?

Die Zenzi hat das verstanden. Die Gefühle waren trotzdem in ihrer Brust, in ihrem Bauch, den ganzen Tag haben sie rumort, egal, ob sie am Klo gestanden ist oder hinten in der Küche, den ganzen Tag das aufgeregte Herz, hat viel zu schnell geklopft.

 

Es stimmt, wir haben keinen Lohn ausbezahlt, weil sie sehr freizügig mit Geld umgegangen ist. Sie war doch geistig behindert. Der Volksmund stimmt umgehend zu. Den Mann kennen wir nicht aber er muss ein Schweinderl sein, er schreibt perverse Briefe. Das ist der guten Wirtin völlig unverständlich, wie einer oder zwei, die doch so anders sind als Durchschnitt, vergnügliche Körperlichkeiten miteinander haben wollen und darüber auch noch schreiben.  Angeregter Behindertensex mitten im Ort. Da muss man die braven Irdninger schon verstehen, dass sie sogleich auf die Barrikaden steigen oder vielmehr sich still und leise das untereinander ausmachen. Das muss einer von auswärts gewesen sein, der plötzlich Rechte eingefordert hat, wo es keine Rechte geben darf. Davon steht auch aktuell auf der Homepage von Irdning gar nichts, obwohl total open-minded, auf der Homepage der Marktgemeinde Irdning darf vor dem Eintritt zwischen zwei Sprachen ausgewählt werden: deutsch oder deutsch.

 

In Irdning wird recht viel gefeiert. Gleich neben Irdning wächst nämlich der mächtige Grimming aus dem Boden und wo rundherum die hohen Berge lauern, muss man sich einen fröhlichen Schädel bewahren, um nicht in Alpentaldepression zu verfallen. Deswegen gibt es Krampuskränzchen, Sängertreffen, Action, Fun und Volleyball. Dort spricht man vor und nach dem Trinken miteinander und kommt in der geselligen Gemeinschaft recht schnell auf einen grünen Zweig: Dass nicht sein kann was nicht sein darf und so eine Geschichte auch schlecht für den Fremdenverkehr ist. Denn die Fremden in Irdning sollen kräftig verkehren, untereinander oder mit den Irdningern, da ist man nicht so, das sagt sogar die Wirtin. Deswegen hat die Zeitung dann auch nichts mehr gebracht. Weil diese ganze Geschichte sowieso nur im medialen Fahrwasser einer anderen Geschichte, nein. Ein Wunder, dass die es überhaupt aus dem Lokalteil rausgeschafft hat, spricht der Herr Chefredakteur, nun reicht es allerdings mit missbrauchten Knechten und unbezahlten Minderbemittelten, das war einmal und gibt es heut nicht mehr. Wahrscheinlich denkt sich das auch die herzgebrochne Zenzi in ihrem Kammerl, immer noch ein armes Schwein, aber jetzt wenigstens mit Anwalt. Wegen den Menschenrechten.

 

erschienen in den manuskripten 194/2011

*Zur Klärung etwaiger Verständnisprobleme:

  • die Übernächtigen= Personen, die die Nacht durchgemacht haben
  • hervorkletzeln = in diesem Fall "abkratzen"

Danke Andrea für deinen Text!


Andrea Stift wurde 1976 in der Südsteiermark geboren und wuchs ebendort auf. Sie studierte Sprachwissenschaft und Germanistik und lebt als freie Schriftstellerin mit ihrer Familie in Graz. Sie ist Redaktionsmitglied der Grazer Literaturzeitschrift „manuskripte“ und arbeitet ehrenamtlich bei einer Wildtierauffangstation.

Übersetzt wurde ein Teil ihrer Texte bis jetzt ins Englische, Französische, Estnische, Französische, Niederländische, Slowenische und Spanische. Sie hat zahlreiche Literaturpreise und -Stipendien erhalten.


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