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Über behindernde Tabus, Sex und Urlaub

Von Autorin Andrea Stift stammt auch der Text "I ♥ Irdning", der bereits in diesem Sommer-Inklusions-Special erschienen ist. Weil Sie nicht nur über Behinderung schreibt, sondern selbst Mutter von Söhnen mit und ohne Behinderung ist, habe ich sie wie Mareice Kaiser zum Interview gebeten.

Liebe Andrea, du bist Schriftstellerin und hast zwei Söhne. Einer davon mit einer Behinderung. Über dieses Thema schreibst du auch immer wieder in deinen Kurzgeschichten in dem Band Elfriede Jelinek spielt Gameboy. Als ich den das erste Mal in Händen hielt, hab ich ihn sofort verschlungen und hatte gleich das Gefühl, dass da eine weiß, wovon sie spricht. Ich glaube, das hab ich dir bei unserer ersten Begegnung auch erzählt.

 

Geht es dir öfter so, dass dich Menschen darauf ansprechen?

 

Nein, lustigerweise überhaupt nicht. Die Hemmschwelle vieler Menschen ist beim Thema  Behinderung noch immer recht hoch. Da tun sich Betroffene und Angehörige sehr viel leichter, das Thema anzuschneiden. Oft ist es für mich auch irgendwie komisch zu sagen: „Ja, weiß ich, weil ich hab auch einen Sohn mit Behinderung…“. Weil das Thema so tabuisiert ist, fühle ich mich dann oft in ein bestimmtes Eck gedrängt. Als wenn ich damit Aufmerksamkeit erregen wollen würde. Deshalb bin ich auch sehr zurückhaltend – im Gespräch. In meinen Texten nicht. Schlimm genug, dass man so wahnsinnig viel drüber grübeln muss, was man seiner Umwelt zumuten darf. Damit bekommt Behinderung viel mehr Gewicht, als sie haben sollte. Schließlich ist Behinderung ganz normal.

Berufswahl und Gewissensbisse

Aus eigener Erfahrung, aber auch wenn ich Mareice Kaisers Blog lese, weiß ich, dass die Ausgaben für Gesundheit und besondere Bedürfnisse manchmal horrend sein können. Wer aktuell nicht J.K. Rowling, Stephanie Meyer oder E.L. James heißt, wird in dieser Branche nicht unbedingt vom Reichtum überrollt.


Passiert es dir manchmal, dass dir Menschen deinen Beruf in  Kombination mit deiner familiären Verantwortung vorwerfen, weil er unberechenbarer ist als - sagen wir -Bürokauffrau? 

 

Hier muss ich mit dem gleichen ersten Satz antworten wie zuvor und der lautete: "Nein, lustigerweise überhaupt nicht.“ Wer mir meinen Beruf in Bezug auf eine eventuelle familiäre Verantwortung manchmal vorwirft, bin einzig und allein ich selbst. Es ist ein Thema, das mich sehr beschäftigt. Manchmal versuche ich mich auch rauszureden, will sagen, mich vor mir selbst zu rechtfertigen: Durch meine zeitliche Flexibilität und relative Freiheit kann ich dafür meinem Sohn Dinge ermöglichen, die andere vielleicht nicht so hinkriegen. Zumindest hat das ganz gut funktioniert, als er noch kleiner war. An kleine Kindern kann man ja endlos viel Zeit ausschütten J. Mittlerweile ist er, glaube ich, auch mal ganz froh, Ruhe vor seiner gluckigen Mutter zu haben. Er ist ja auch schon erwachsen (was ich, wie viele Mütter, gerne geflissentlich übersehe). Tatsache ist, ich habe weniger Geld als andere, gottseidank ist sich aber alles immer irgendwie ausgegangen.

Let's talk about Sex

Dein Sohn ist ja nun schon in einem bestimmten Alter, wo auch Fragen zur Sexualität auftauchen bzw. sichtbar wird, dass mensch das Thema als Elternteil nicht länger meiden kann. Vor einiger Zeit hast du mich um Buchtipps gefragt und ich habe damals selbst das erste Mal in diese Richtung recherchiert. Mich hätte interessiert was in der Zwischenzeit passiert ist.

 

Wie sprichst du mit deinem behinderten Sohn über Sexualität? Und machst du etwas anders als bei deinem nicht-behinderten Sohn, der ja auch längst in der Pubertät ist?

 

Das Thema beschäftigt meinen Partner und mich immer noch, es ist aber gerade nicht so drängend. Wir haben, ehrlich gesagt, noch keinen idealen Weg gefunden. Die Sprache fehlt uns. Manchmal übertünchen wir eine Situation mit Humor. Manchmal versuche ich, gewisse Dinge nebenbei zu erklären – als wenn eh alles klar wäre quasi. Wir haben auch typische Aufklärungsbücher zuhause (mit denen habe ich zum Beispiel meinem zweiten Sohn erklärt, was Sache ist) die sind zwar für kleinere Kinder, aber ich spiele schon mit dem Gedanken, sie noch einmal hervorzuholen und gemeinsam mit dem jungen Mann durchzulesen – why not.

Schule

Im Rahmen dieser Reihe werde ich auch eine Integrationslehrerin interviewen. Von dir weiß ich, dass dein Sohn eine alternative Schulform besucht hat. Mich würde interessieren, wie Integration dort „anders“ funktioniert und welche Erfahrungen und Empfehlungen du anderen Eltern geben kannst?

Ich habe so viele verschiedene Menschen kennen gelernt, die mit behinderten Menschen zusammen arbeiten und bei allen hatte ich das Gefühl, sie wissen, was sie tun. Aber manchmal weiß das Schulsystem leider nicht, was es tut (oder anrichtet). Deswegen kann ich nur einen einzigen, großartigen Tipp geben: Liebe Leute, hört auf Euer Bauchgefühl und lasst Euch nichts einreden. Die anderen, die glauben, dass sie es vielleicht durch jahrzehntelange Erfahrung besser wissen, sind auch nur Menschen und machen Fehler. Um es mal pathetisch auszudrücken: Dein Kind und Du, Ihr wisst am besten, was gut für Euch ist.

Andrea herself © Andrea Stift
Andrea herself © Andrea Stift

Behinderung benennen oder nicht?

Als eine die mit Sprache arbeitet, nimmst du vielleicht den Unterton bestimmter Begriffe unterschiedlich wahr. Mich hätte interessiert, wie du zu Inklusion, besonderen Bedürfnissen, Behinderte, Menschen mit Behinderung etc. stehst.


Was findest du hilfreich oder passend, was geht für dich gar nicht?

 

Ehrlich gesagt, mir ist es ziemlich wurst, wie man sich da jetzt korrekt ausdrückt. Das Thema Behinderung war so lange tabuisiert und wird es immer noch. Ich erlebe oft, dass Menschen herumdrucksen weil sie nicht wissen, wie sie meinen Sohn jetzt bezeichnen sollen. Gehandicapt? Mensch mit besonderen Bedürfnissen? Man traut sich kaum, ihn als das zu bezeichnen, was er ist: behindert. Dadurch verkomplizieren sich die Dinge sehr, das ist doch wohl nicht der Sinn der Sache. Man scheitert an einer ersten sprachlichen Hürde, obwohl man, wenn man die erstmal schnell überwunden hat, sehen könnte, dass „ein Behinderter“ zu sein, ja nicht das ist, was die Person ausmacht.


Und ja, es gibt tatsächlich was, was gar nicht geht – wenn Menschen das Wort „behindert“ als Schimpfwort benutzen. Das ist kurzsichtig, nein, vertrottelt.

Der perfekte Urlaub

Der perfekte Urlaub mit deinen Söhnen: Wie war der? Wo war der? Warum war er perfekt?


Wir hatten einige schöne Urlaube, aber einer der schönsten war mit einer befreundeten Familie und deren Kinder irgendwo am kroatischen Meer. Das empfehle ich sowieso allen Eltern, egal was für Prachtexemplare an Kindern sie haben: Fahrt mehr gemeinsam auf Urlaub. Die Kinder unterhalten sich dann gegenseitig, im Idealfall erziehen sie sich sogar ein bisschen untereinander und man hat wieder ein bisschen Zeit für sich. Der ideale Urlaub.

Danke Andrea für dieses Interview!



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