Die Autorin Eva-Maria Zurhorst meint, Sex sei nicht das Problem, sondern die Lösung. Mit der Methode "Soulsex" könnte quasi allerhand an in einer Beziehung "auskommuniziert" werden. Einiges, was da an Problemstellungen kommen kann, hab ich bereits im ersten Teil dieses Artikels angesprochen. Jetzt geht's aber richtig zur Sache...
Was bisher geschah - Sex ist nicht das Problem...
Wir erinnern uns kurz: Eva-Maria Zurhorst und ich sind zwar keine Busenfreundinnen, wenn es um Rollenklisches geht, aber beim Thema Traumata sind wir doch auf derselben Wellenlänge daheim. Außerdem habe ich ebenfalls folgende Erfahrungen gemacht (und jetzt kopiere ich einfach den Schluss von Teil 1 hierher, damit ihr alle bequem weiterlesen könnt):
Viele Frauen in Heterobeziehungen kennen das vermutlich, dass mensch irgendwann einfach gar keine Lust mehr hat auf Sex, weil einer einfach alles stinkt. Weil das mit der Aufteilung der Haushaltsaufgaben nicht funktioniert, weil die Kinder anstrengend sind, weil dieser oder jene Konflikt noch nicht gelöst ist, und dann will der Partner auch noch Sex.
Viele Männer kennen das vermutlich, dass sie nie gelernt haben, dass es ok ist, über Gefühle zu sprechen, dass es besser ist, Dinge mit sich selber auszumachen, und dass Kuscheln ohne nachfolgenden Sex quasi unsinnig ist. Sex ist oft die einzig akzeptable Form von Zuneigung, die sie gelernt haben. Weil alles andere für Schwächlinge ist.
Ich glaube nicht, dass sich Männer grundsätzlich dafür entscheiden, aber ich denke, dass ist das, was viele unterschwellig lernen. Im Angesicht der maximalen Distanz wollen sie dann (natürlich) noch immer Sex mit der Partnerin. Das Nähebedürfnis besteht ja nach wie vor.
Und sie denkt sich: WTF? Im Ernst? Jetzt willst du auch noch Sex?
„Die wichtigste Funktion von Sex ist Kommunikation, und gleichzeitig ist es auch die Funktion des Sex, für die wir am wenigsten Bewusstsein haben. […]
Die Sexuelle Begegnung hilft uns, unser Grundbedürfnis von Angenommensein und Zugehörigkeit zu erfüllen.“
Über dieses Problem schreibt auch Eva-Maria Zurhorst. Und sie meint: Sex ist aber die Lösung. Aber nicht der Sex mit rein-raus, wie die meisten von uns ihn gut kennen, der Sex mit Orgasmus und Stellungswechsel. Denn auch, wenn wir uns gefühlstaub vorkommen und der Körper dicht macht, wir auch ungewollt auf Durchzug beim Sex schalten und die Einkaufsliste durchgehen – genau in dem Moment könnten wir das Dilemma eigentlich lösen, wenn WIR FRAUEN dableiben würden und uns nicht ausklinken.
An dieser Stelle bin ich dann auf den Männer/Frauen-Zug von Zurhorst aufgesprungen, weil ich was damit anfangen konnte. Es würde mich wirklich interessieren, wie das Konzept mit gleichgeschlechtlichen Paaren umsetzbar ist, aber hier spielt die Sozialisationserfahrung als Heteromensch glaub ich eine gewichtigere Rolle, denn das biologische Geschlecht, dass eh so schwammig ist.
Sex als Lösungsstrategie
Zurhorst gibt keine genauen Anleitungen, aber viele Anregungen. Damit Sex der kommunikativen Lösung dienen kann, empfiehlt sie Folgendes (mehr oder weniger in chronologischer Reihenfolge):
- mehrmals die Woche wirklich viel Zeit nehmen und sich einfach mal nackt nebeneinander legen ohne was zu tun
- warten und sich wahrnehmen (während ihr nackt nebeneinander liegt)
- irgendwann gleicht sich der Atem schon an, irgendwann liegt mensch auch näher nebeneinander
- dem Impuls widerstehen, sich noch ein Glas Wasser zu holen, nochmal aufs Klo zu gehen usw. – diese Fluchtwünsche bei Nähe bewusst wahrnehmen
- alles was kommt zulassen (ich neige da zB immer zum Quasseln, sonst denke ich dann während dem Sex drüber nach)
- und dann dieser Männer-Frauen-Teil: Der Frauenauftrag lautet, ganz genau hinzuspüren was grade angenehm ist und was nicht. Sich so hinlegen, dass es bequem ist. Bei der kleinsten Kleinigkeit, die sich nicht gut anfühlt, Bescheid geben.
- Der Männerauftrag lautet, präsent zu sein, die Partnerin wahrzunehmen, genau darauf zu achten, wie sie auf Berührungen reagiert
- Und ja: Das kann zu Frust, Streitigkeiten, Konflikten führen. Frau Zurhorst sagt aber: Das ist nur zu unserem Besten. Und sie hat Recht! Aber das dauert halt, und wir sollen üben. Mehrmals die Woche.
- Das kann dazu führen, dass auch mal mittendrin abgebrochen wird, weil es sich einfach nicht mehr gut anfühlt und das ist okay so. Das Annehmen und der Respekt vom Partner kann aber hier echt viel bewirken. Denn: Es geht nicht um Befriedigung.
- Zurhorst sagt, wir sollen uns nicht auf den Orgasmus konzentrieren und nicht zielgerichteten Sex haben, sondern einfach schauen, was passiert. Unsere Genitalien wüssten dann schon…
- Die vaginale Muskulatur kann bis zu 20 min brauchen, bis sie sich entspannt! Sonst ist es einfach unangenehm. Deswegen beim Einführen des Penis einfach langsam machen, Millimeter für Millimeter und immer warten und spüren, wie es sich anfühlt.
- Und wenn er mal drinnen ist nicht rein-raus, sondern warten. Denn oh Wunder, die Vagina wird den Penis so richtig ansaugen und dieser wird sich einfach so ausdehnen. Und dann wird’s auf einmal Kontraktionen geben – einfach so. Schneckensex. Einfach daliegen und warten, die zwei machen dann schon. Vielleicht ergibt sich daraus ein Orgasmus, vielleicht auch nicht.
- Frau Zurhorst sagt auch: Es ist wurscht, wie steif der Penis ist, das funktioniert immer gut. Und sie sagt, die Brüste sollen aufeinander liegen. Also männliche auf weiblicher Brust. Das hat was mit Geben und Nehmen und Energiefluss zu tun und Tantra und so. Ok. Kann mensch ja mal probieren.
So, ich hab das probiert. Und es funktioniert. Und zwar so…
Du äh, so nicht...
Wir beide haben das Glück, dass wir sehr nett und zuvorkommend sind mit einander und auch akzeptieren können, wenn sich was nicht gut anfühlt. (Hach hört sich das jetzt geschwollen an. Nein, ehrlich - ich finde schon, dass das einen enormen Unterschied macht, ob sich ein Paar bei Kritik gleich den Schädel einschlägt oder noch nie auch nur ein Wort der Anregung im Bett gegeben hat.)
Trotzdem war das am Anfang komisch, gleich so Rückmeldungen zu geben. Obwohl unser Sex auch vorher wunderbar war, war es doch ein großes Aha, wie viele Kleinigkeiten und körperliche Empfindungen da mitspielen. Bisschen aufs Reptiliengehirn hören, schadet da nicht.
Wir mussten manchmal anfangs auch mittendrin abbrechen, weil es einfach nicht mehr funktioniert hat und uns eben auch ein bisschen bemühen, ehrlich zu sein und das Gesagte nicht persönlich zu nehmen.
Über Risiken und Nebenwirkungen von Schneckensex
Als wir diesen erleuchtenden Schneckensex mit den sich ansaugenden Genitalien das erste Mal hinkriegten ohne zielgerichtet zu sein, war das ziemlich irre, aber gleichzeitig waren wir auch ein bissl traurig, weil die Frau Zurhorst geschrieben hat, das würde unseren Sex nachhaltig verändern. Und wir dachten dran, was aus dem wilden, leidenschaftlichen Sex wird, wenn wir nur so wie sich gegenseitig ansaugende Schnecken daliegen.
Also haben wir es auch auf die herkömmliche Variante probiert. War zwar gut, aber wir haben unsere Verbindung vermisst. Beide waren wir nur bei uns selbst, haben aber den krassen Unterschied gemerkt, den anderen nicht wirklich innig zu spüren. Das war dann auch irgendwie befremdlich und einsam.
Ein Nebeneffekt vom Soulsex war, dass wir uns im Alltag irrsinnig aneinander gebunden fühlten. Ich vermisste meinen Partner auf einmal wie frisch verliebt, wir fühlten uns total nah und hatten irrsinnige Sehnsucht nacheinander in einem Ausmaß, das mir nicht mehr bekannt war nach ein paar Jährchen. - Das klingt jetzt so wie ein Sehnen nach einer lang zurückliegenden Vergangenheit. Tja, was glaubt ihr, zu welcher Tageszeit ich meine Blogartikel schreibe? ;-) Und überhaupt...
Anfangs sind wir auch schon vor lauter Tiefenentspannung weggepennt...ja, währenddessen. :D
Nach scheinbar unüberbrückbaren Differenzen, die manchmal auch vorkommen, versuchen wir es ebenfalls mit dieser Problemlösungsvariante. Das ist dann auch nicht aus einer "juhuu"-Laune heraus, aber auch das ist egal. Weil zuerst ist eh nur nebeneinander nackig liegen angesagt. Und wenn dann noch was Aufregenderes passiert außer einschlafen (siehe oben), dann ist eh schon viel gewonnen.
Ein upgrade wär noch drin...
Wir haben nicht so oft Sex wie Frau Zurhorst uns das empfiehlt (vielleicht sollten wir das…), aber es hat echt einiges verändert – auch auf vielen anderen Ebenen:
Mit ein bisschen Übung und Routine im Schneckensex funktioniert das sich-gegenseitig-Wahrnehmen auch mit anderen Stellungen und Körperteilen. Ich überlasse das jetzt mal eurer Fantasie. Das Prinzip ist immer dasselbe - so von wegen Ausdehnung und Ansaugen. Warten muss mensch halt können. Bissl Geduld ist gefordert. Insofern glaub ich, dass das auch für gleichgeschlechtlichen Sex funktioniert ohne Männlichkeits- und Weiblichkeitspol-Hokuspokus.
Unser nächstes Vorhaben ist, mal auszuprobieren was ist, wenn ich versuche total präsent bei ihm zu bleiben und er konzentriert sich nur auf seine Empfindungen. Also die Männer-Frauen-Rolle getauscht von dem Vorschlag von Eva-Maria Zurhorst. Wird sicher auch ein spannendes Experiment.
Unser Körper ist schon irre
Schwangerschaft und Geburt sind schon so Grenzerfahrungen, die mit nichts vergleichbar sind. Nie hab ich mich so sehr als Körper gefühlt wie zu dieser Zeit - sonst immer nur Kopf und der Rest hängt dran.
Aber nach dem Soulsex-Experiment muss ich schon sagen, ich bin echt absolut geflasht davon, was unser Körper so von allein kann und tut, ohne großartig selber mechanisches einzugreifen. (Eigentlich ist das eh bei Geburt auch so). Quasi: Wow, so hat sich die „Natur“ also Sex gedacht! Da wird jeder Porno ad absurdum geführt. Und irgendwie auch jeder One-Night-Stand hinfällig, weil so Einlassen auf jemanden ist einfach nicht in dieser Art mit Unbekannten möglich. Dafür gibt’s halt andere Vorzüge ;-)
Auf jeden Fall: Ein Hoch auf unseren Körper. Ob Penis oder Vagina: You rock!
Wer mehr zu den Hintergründen zu Soulsex lesen möchte, wird ganz sicher in Teil 1 dieses Artikels fündig.