Zustöpseln ja oder nein? Der Tampon hat scheinbar viele Vorteile und hat uns Frauen “noch mehr Freiheit” gegeben. Zumindest die Werbung will uns das verklickern. Wie ist das jedoch ohne den Stöpsel? Wie ist es mit frei fließen lassen? Ist das überhaupt möglich? Kathrin Sieder, Menstruationsbegleiterin macht sich diesmal als Gastautorin auf die Suche nach Möglichkeiten zur freien Menstruation.
Kathrin Sieder ist Sozialpädagogin und Menstruationsbegleiterin. Sie begleitet Frauen die wohltuende und freudvolle Seite der monatlichen Blutung zu entdecken, trägt das Thema in die Öffentlichkeit, organisiert Vernetzungstreffen und bloggt darüber.
Die Geschichte des Tampons...
Nach langem Recherchieren, wie es sich mit der Wahrheit rund um den Tampon und dem freien Fließen verhält, fühlte ich mich richtig "ausgeronnen". Zu viele Informationen in Büchern und im Netz waren da zu finden und ja, vielleicht haben sie im alten Ägypten tatsächlich schon Bambus-Tampons verwendet, vielleicht aber auch nicht. Wie die Vergangenheit wirklich war, sind oft nur Mutmaßungen aufgrund der archäologischen Funde – aber oft mit einem recht verklärten Blick. Generell gibt es zu fast allem im Menstruationsuniversum Geschichten. Hier eine davon:
"Allerdings herrscht auch die weit verbreitete Annahme, ägyptische Frauen hätten sich aus Papyrus oder anderem Gras eine Art Wegwerf-Tampon gebastelt [...] Diese Tatsache machen sich heutige Tamponhersteller zunutze und ziehen so gegen die immer noch weit verbreitete öffentliche Meinung ins Feld, Binden seien natürlicher und bewährter. Die Tatsache, dass der Tampon bereits im alten Ägypten bekannt war, soll Frauen vom Gegenteil überzeugen." (Habiger 1998)
...und seine Nebenwirkungen
Ich für mich hab beschlossen solch ein Baumwollteil nicht mehr in meine Vulvina zu stecken. Zu schlecht sind die Anbaubedingungen der Baumwolle, zu viele Chemikalien. Außerdem verliert die Baumwolle kleine Fasern, die dann in meiner Vulvina rumlungern. Darauf hab ich keine Lust mehr. Pilzinfektionen hatte ich schon genug...
Der erste Tampon, wurde von einem Mann entwickelt und kam 1936 auf den Markt mit dem Namen Tampax. Das soll Sauberkeit, Freiheit und was weiß ich noch alles suggerieren. Ich kenne jedoch einige Frauen die es " halt verwenden", obwohl es eigentlich "schon weh " tut beim Rein- und Rausgeben - so auch bei mir. Die Nebenwirkungen von Tampons kommen in der Öffentlichkeit kaum vor. Die Schleimhaut wird aufgesaugt, das toxische Schocksyndrom ausgelöst, Gebärmutterkrämpfe und sonstige Leiden, die mit der Menstruation verbunden werden, werden auch noch gefördert.
Das nicht "Sehen-Riechen-und-außen-bleibt-alles-sauber"-Ding, lässt mich im Alltag auch drauf vergessen, dass ich menstruiere und dann wundere ich mich dann, dass ich Bauchweh hab. Denn wenn ich menstruiere, kann ich meinen Alltag so wie an den anderen Tagen nicht leben. Es braucht Rückzug und Innenschau, auch weil die äußeren Sinnesorgane weniger aktiv sind.
Freies Fließenlassen
Von Naturvölkern gibt es wiederum Geschichten, in denen die Frauen sich hinhocken und das Blut in die Erde fließen lassen.
Luisa Francia schreibt dazu in "Drachenzeit":
"Tuaregfrauen im algerischen Tassili-Gebirge, bei denen ich einige Zeit verbrachte, zeigten mir, wie sie menstruierten ohne Binden oder Watte zu benutzen. [...] Zu Beginn der Menstruation sonderten sie sich von der übrigen Familie ab und hockten sich über ein Loch, das sie in die Erde graben. Sie lassen den ersten Blutfluß auslaufen und spannen dann die Muskeln an. Während der ganzen Menstruation gibt es Phasen, in denen sie bluten, und Phasen, in denen sie nicht bluten. Sie können das regulieren. Wenn gelegentlich etwas Blut tropft, stellen sie einfach die Beine breit. Sie tragen keine Unterhosen, so daß auch der bei uns übliche Verwesungsgeruch des Blutes auf Watte, Tampon oder Binde nicht entsteht. "
Francia, L. Drachenzeit. S. 36
Den freien Fluss gab es auch bei der Landbevölkerung bis ins 20. Jhdt. Sie hatten jedoch einen anderen Grund dafür: Sie glaubten, dass es sonst einen Blutstau geben könnte. Sie trugen keine Unterwäsche (diese war teilweise verboten) und ließen das Blut an den Beinen runter rinnen.
Frei werden vom Tampon
Je nach Möglichkeit gab es Phasen in der Menschheitsgeschichte, in denen Frauen es fließen lassen konnten und Phasen, in denen Stoff zum Auffangen verwendet wurde.
Und heute? Was ist heute möglich? Im Wald wohne ich nicht und kann kein Loch für das Blut graben. Ich könnte meine Beine breit stellen und es auf den Asphalt tropfen lassen ... komischer Gedanke...
...und dann entdeckte ich die "freie Menstruation"
Anfangs dachte ich es geht darum, gar nicht mehr zu menstruieren. Anne Tembel schreibt in ihrem Artikel "Let it bleed" das diese Art des menstruieren eigentlich "hygieneartikelfreies Menstruieren" heißen sollte. Denn darum geht es auch. Kein Tampon, keine (Stoff-)Binden und keine Menstruationstasse.
Wie soll das gehen?
Das Blut fließt nicht die ganze Zeit, der Muttermund öffnet sich und schließt sich auch wieder. Ich kann es spüren wenn das Blut sich gesammelt hat und der Muttermund sich öffnet. Dann gehe ich auf die Toilette und lasse es abfließen. Die Unabhängigkeit von Tampons und Menstruationstassen lässt mich wieder näher zu mir kommen, weil ich dazu meinen Körper (er)spüren muss und in Kontakt mit mir treten: Ich nehme das warme Blut wahr, das meine Vulvina passiert.
Anfangs war das für mich nicht ganz einfach, weil ich mich davor ekelte und lieber alles „schön kompakt verpackt“ in 'nem Tampon aus mir „entfernt“ hab. Jetzt plötzlich sehe ich, was da aus mir herauskommt und mein Menstruationsblut ist viel mehr Teil von mir. Es fühlt sich alles etwas stimmiger an und ist nicht mehr/nur eine „lästige Phase“, die ich schnell hinter mich bringen und am liebsten auch vor mir verbergen möchte.
Freie Menstruation im Alltag
Aktuell würde ich sagen, bin ich im Stadium einer Lernenden. Zur Sicherheit trage ich immer eine Binde, weil ich den Blutfleck nicht auf meiner Hose möchte, wenn ich grade nicht zur Toilette kann, oder anders so beschäftigt bin, dass ich es nicht spüre. Denn die Umwelt reagiert so wie es Sarah Maple in ihrem Bild widerspiegelt, darauf hab ich gerade keine Lust. Und gerade mit meiner einjährigen Tochter, kann ich oft nicht einfach auf die Toilette gehen.
Freie Menstruation bedeutet nicht, dass ich keine Binde tragen darf. Aber das generelle Benutzen von Binden ist noch kein freies Menstruieren. Es geht wirklich darum, mit sich in Verbindung zu treten und es soll sich leicht und sicher anfühlen. Anfangs war ich genauso unsicher und hab gezweifelt, ob das wirklich funktionieren kann. Generell ist es für mich angenehmer, zu Hause zu sein. Da bin ich nicht so abgelenkt von der Umwelt. Wenn ich stärker menstruiere, kann ich das "Blutsammeln" besonders gut spüren. Dann entsteht ein Druck und ich gehe auf die Toilette und gleichzeitig mit dem Urinieren kommt auch das Blut heraus. Im Prinzip gibt es keinen genauen Fahrplan für die freie Menstruation. Frauen spüren oder erleben sie unterschiedlich. Manchen fällt es leichter bei starker Blutung und bei manchen bei weniger Blutung. Einige folgen ihrer Intuition.
"Alle sagte: Es geht nicht! Bis eine kam und es tat!"
Quellenhinweise:
- Geschichte-der-Monatshygiene
- Petra Habiger (1998): Menstruation, Monatshygiene und Frauengesundheit im antiken Ägypten
- Vulvina
- Was so manche Frau über Tampons nicht weiß
- Geschichte von Tampax
- Toxisches Schocksyndrom
- Drachenzeit: Die verborgene Kraft der Menstruation - Luisa Francia (1987)
- Irrtümer Menstruation
- let it bleed
- Menstruationstasse
- Sarah Maple
weiterführende Links:
Kleiner Nachtrag zu Unterhosen
“Hosen galten in unserer Kultur sehr lange als exklusiv männliches Kleidungsstück; sie sind bekanntlich erst seit den 20er Jahren unseres Jahrhunderts langsam zum Kleidungsstück für Frauen avanciert. Die Einführung der Damenhose war von heftigen Kontroversen begleitet, die sich sogar auf die Unterwäsche bezogen.
Bis ins 18. Jahrhundert hinein trug niemand Unterwäsche, doch als sie sich durchzusetzen begann, tauchte sogleich die dringende Frage auf, ob auch Frauen Unterhosen tragen dürfen. Ärzte des 18. jahrhhunderts erklärten apodiktisch, es sei aus hygenischen Gründen notwendig, dass Frauen ihre Kleider und Unterkleider “unten offen” trügen, damit sie
“nicht bey Lebnzeiten vermodern, oder gar stinkend werden (…). Denn da die Frauenzimmer die Natur eines Schwammes besitzen, welcher eben darum viele Zwischenräumchen haben muß, um sich zusammendrücken, wieder ausdehen zu lassen, und viele Feuchtigkeiten annehmen zu können; so haben sie freylich auf eine Kleidng bedacht seyn müssen, welche ihnen darum bewuem sein sollte, weil sie niemals recht sicher sind, sondern beständig in Furcht stehen, es möchte sich bey ihnen die überflüssigen Feuchtigkeiten ergießen. Trügen sie nun wie die Mannsbidler Hosen, so würden sie nicht nur immer naß sitzen, sondern wohl gar zu ihrem eigenen Unglücke bey lebendigem Leib in eine Fäulniß gerathen”.
– Aus Gertrud Lehnert: Wenn Frauen Männerkleider tragen. Geschlecht und Maskerade in Literatur und Geschichte (1997), S. 30 |
Dieser Artikel ist Teil der Reihe "hat es nie gegeben". Darunter erschienen sind schon:
Kannst du dir vorstellen frei zu menstruieren, oder machst du das schon?
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