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Wie soll ich reagieren, wenn mein Kind missbraucht wurde?

 

Die Vorstellung, dass dem eigenen Kind ein sexueller Übergriff widerfahren könnte, ist für viele nur Menschen nur schwer zu ertragen. Wut, Zorn, aber auch grenzenlose Hilflosigkeit, Schock und ein Nicht-Wahrhaben-Wollen können die ersten Reaktionen, wenn das Kind plötzlich von diesen Erlebnissen berichtet. Neben unserer eigenen Betroffenheit geht es aber auch darum, unserem Kind beizustehen und "richtig" zu reagieren. Und das geht z.B. so...

Wie Eltern oft reagieren...leider

Normalerweise erzählen Kinder den eigenen Eltern nichts über Missbrauch. Nicht weil diese daran generell immer beteiligt wären, aber weil sie oft Schuldzuweisung und Bestrafung befürchten. In einer Studie von 2003 führt Marilyn Van Debur das Durchschnittsalter von Kindern an, die das erste Mal einen sexuellen Übergriff erlebt haben: 5 - 6 Jahre. Diejenigen davon, die den eigenen Eltern vor ihrem 18. Lebensjahr erzählten, erlebten folgende negative Reaktionen:

  • Wut - 42%
  • Schuldzuweisung - 49%
  • Nichtbeachten der Enthüllung - 50%
  • Hysterisch werden - 30%

Damit Kinder also etwas erzählen, muss es schon sehr viel Vertrauen haben und sich nicht vor den Konsequenzen fürchten. 

Die eigene Hilflosigkeit

So, und dann sagt dir dein Kind, dass es von jemandem irgendwie komisch berührt wird/wurde. Dir dämmert etwas, aber das kann nicht sein. Das ist doch die Lehrerin, der Cousin, dein Partner, deine Lebensgefährtin, dein eigenes Kind - warum sollte er oder sie so etwas tun? Das kann doch nicht sein. Das bildet sich der/die Kleine doch sicher nur ein. Hat einfach eine lebhafte Fantasie. Die/der erfindet doch dauernd irgendwas. Du kennst doch die Lehrerin, den Cousin.....dein anderes Kind. Das passt doch gar nicht. Die/der ist ja nicht pädophil. Da hättest du doch bestimmt was bemerkt. Und fast Gleichaltrige? Ne. Und von einer Frau? Das ist doch sicher eine Fantasie.


Leider nein. Dein Kind ist entweder gerade in einem Alter, wo es noch nicht zuordnen kann, ob das jetzt etwas ganz "Böses" war und plappert einfach munter darauf los. Oder aber es hat eine Menge Überwindung gekostet und wenn du jetzt nicht darauf reagierst, dann wird es für vermutlich für viele Jahre schweigen mit allen Konsequenzen. 

Du willst es nicht wahrhaben?

Das ist okay. Das ist nachvollziehbar. Niemand wünscht sich das. Es ist in Ordnung, dass du verwirrt bist, dass du deine Familie beschützen möchtest, dass du nicht willst, dass deine Beziehung zerbricht, deine kleine heile Welt auseinander fällt.


Aber da ist jemand, dessen Welt vermutlich ebenso (oder schon länger) aus den Fugen geraten ist. Dessen weiteres Leben von der Erfahrung eines sexuellen Übergriffs geprägt sein wird. Immer. Und dieser kleine jemand braucht dich. Dein Kind vertraut dir. Jetzt bist du an der Reihe es zu beschützen und zu stoppen was da passiert.

Was kannst du tun?

1. Glauben schenken

Unglaublich oft berichten Opfer von sexualisierter Gewalt, dass die Personen, denen sie sich anvertraut haben - ganz egal ob Familie, Polizei etc. - Schuld zu gewiesen oder ihre Aussagen ins Lächerliche gezogen haben. auf project unbreakable sammeln Überlebende sexualisierter Gewalt Aussagen ihrer TäterInnen aber auch jener Personen, von denen sie leider keine Hilfe erwarten konnten. Dieser Schmerz ist unglaublich nachzuvollziehen. Du fühlst dich bedroht in deiner Existenz, jemand quält dich, demütigt dich und ein Mensch dem du vertraust, glaubt dir nicht. Unpackbar. 


Egal wie surreal dir solche Andeutungen oder direkte Aussagen von deinem Kind in dem Moment des Erzählens vorkommen: Glaube immer. Du bekommst vermutlich keine zweite Chance auf dieses Gespräch.

2. Ruhig bleiben

Vielleicht hast du überhaupt kein Problem damit, deinem Kind sofort zu glauben. Aber stattdessen würdest du am liebsten alles  kurz und klein schlagen und die TäterInnern am nächsten Baum aufhängen. Diese Gefühle sind absolut nachzuvollziehen, aber für dein Kind nicht hilfreich. Dein Zorn ändert nicht das bereits Geschehene. Aber er kann Auswirkungen auf den Grad der Traumatisierung haben.

 

Im Artikel "Wie kann ich mein Kind vor sexuellem Missbrauch schützen" habe ich folgendes Beispiel erwähnt:

 

"Ein Bub berichtet auf dem Weg nach Hause seinen Eltern im Auto, dass der ältere Cousin ein Aua am Pipi gehabt hätte und er ihm heute helfen hätte sollen, damit das Aua weggeht. Dafür hätte er ganz doll reiben müssen, weil dem Cousin der Arm schon so weh getan hätte. Die Eltern legten eine Vollbremsung hin und waren total entsetzt. Der Bub auch – aufgrund der Reaktion der Eltern. Er betonte immer wieder, er habe dem Cousin doch nur helfen wollen, er habe doch nichts Falsches gemacht."

 

Weil das Kind das Erlebte noch nicht einordnen konnte, bewertete es dieses auch nicht. Vollends schockiert war er allerdings durch die panische Reaktion der Eltern. Erst dadurch entstand eine Art Traumatisierung.

3. Zeit geben

Gib deinem Kind Zeit. Frag nach, um dir Klarheit zu verschaffen was tatsächlich passiert ist - aber in einer Art und Weise, in der du dein Kind nicht bedrängst. 

 

Je besser dein Kind Körperteile und Gefühle benennen kann, desto leichter wird es ihm fallen, Worte für das Geschehene zu finden. Hilfreich können dabei spezielle Aufklärungsbücher im Vorfeld sein, so wie auch eine generell offene Atmosphäre, in der es normal ist, über Gefühle zu sprechen.

 

Bei traumatisierten Personen ist es nicht ungewöhnlich, dass sich bei mehrmaligen Erzählen die Geschichten auch verändern. Das kann auch am Verdrängungsprozess liegen. Erst wenn ein Trauma vollständig aufgearbeitet ist, kann über das Erlebte in der Regel chronologisch und ohne überwiegende emotionale Betroffenheit berichtet werden. 

Herumsticheln und Nachbohren solltest du auf keinen Fall. Stattdessen solltest du dir professionelle Hilfe holen.

4. TäterIn und Kind voneinander trennen

Dein Kind hat dir erzählt was passiert ist, damit es aufhört, damit du etwas unternimmst. Lebt der/die TäterIn mit euch zusammen, kannst du in einem ersten Schritt unterbinden, dass beide miteinander allein sind. Wenn du ratlos bist, was du in einem nächsten Schritt tun kannst/sollst, wende dich am besten gleich an eine geeignete Beratungsstelle.

5.Hole dir professionelle Unterstützung

Der erste Weg führt nicht unbedingt zur Polizei, sondern zu einer auf sexualisierte Gewalt spezialisierten Organisation. Die Polizei bedeutet Vernehmungen für dein Kind, durch die es retraumatisiert werden kann und auf die es nicht vorbereitet ist. Ebenso wenig sind die meisten PolizistInnen auf den Umgang mit traumatisierten Personen geschult. Gewaltschutzzentren, Vereine, die sich gegen sexualisierte Gewalt engagieren aber auch die Telefonseelsorge (in Österreich Rat auf draht), helfen dir in einem ersten Schritt sicher besser, mit deiner Verwirrung und einen Ängste umzugehen.

Als nächsten Schritt würde ich dir die Suche nach einem/r geeigneten TraumatherapeutIn empfehlen, der/die auch mit Kindern arbeiten kann. 

 

Schau auf dich. Achte auch darauf, was in deinem Kopf und in deinem Körper passiert. Wenn du quasi neben dir stehst, dann versuche dich wieder zurück zu holen, damit du auf die Bedürfnisse deines Kindes eingehen kannst.

Und: Es ist nicht deine Schuld.


Schuld hat der/die TäterIn. Das ist die Person, die für die Übergriffe Verantwortung übernehmen muss. 

Wie geht es deinem Kind?

Bevor du dich in Online-Foren stürzt und dir x-Bücher zum Thema besorgst, die dich mehr fertig machen, als sie dir und deinem Kind helfen, solltest du dich vielleicht erstmal nur mit dem Thema Schuldgefühle beschäftigen. Und zwar weniger mit deinen eigenen (dafür kannst du dir Unterstützung bei deinem/r eigenen TherapeutIn suchen), als mit denen deines Kindes.


Generell glauben meist die Opfer von sexualisierter Gewalt, dass sie in irgendeiner Form schuld am Geschehenen sind, oder dieses hätten verhindern können (wenn sie z.B. nur brav genug gewesen wären). Im Artikel "Wie kann ich mein Kind vor sexuellem Missbrauch schützen" habe ich das Thema Schuldgefühle genauer erklärt, damit du weißt, was in einem Kind vorgeht.

Wie kann ich das generell verhindern?

Für die TäterInnen von sexualisierten Übergriffen wirst du nie die Verantwortung übernehmen können; das sollte dir bewusst sein. Allerdings gibt es viele Punkte in der Prävention, an denen Eltern mit ihren Kindern arbeiten können.

Darunter fällt

Auf diesem Blog findest du alle wichtigen Materialien unter der Rubrik "Prävention von sexualisierter Gewalt an Kindern."

Wenn du den Newsletter  - der selten, aber doch hin und wieder mit allen möglichen Infos daherkommt - abonnierst, bekommst du auch ein kostenloses eBook mit Anregungen, wie du mit deinen Kindern über das Thema Sex sprechen kannst. Auch hier spielt das Thema sexualisierte Gewalt eine Rolle. 

Auf Netmoms gibt es außerdem eine Liste von möglichen Anzeichen für Missbrauch. Allerdings variieren diese je nach Alter und Entwicklungsstand des Kindes und lassen keine punktgenauen Antworten zu. 

 

Auf jeden Fall ist gutes sensibles Zuhören wichtig und überhaupt eine gute Gesprächsbasis. Kinder brauchen oft bis zu 7 Anläufe, bis ihre Signale wahrgenommen werden. Das zeigt auch das Beispiel einer Foren-Userin:

 

"Das passierte in der Badewanne in sehr jungen Jahren. Also sagte ich meiner Mutter: "Der Papa badet mit mir alleine." Zu diesem Zeitpunkt badeten sich meine Geschwister und ich eigentlich auch aber immer selbst - ohne Elternteil. Meine Mutter sagte: "Das ist doch schön." Und damit war die Sache für mich gegessen. Ich hab nie wieder ein Wort darüber verloren.



Lesematerial zur Heilung seelischer Verletzungen

Auf einer Traumapädagogik-Tagung sind mir die Bücher von Peter A. Levine und Maggie Kline untergekommen. Sowohl Kinder vor seelischen Verletzungen schützen: Wie wir sie vor traumatischen Erfahrungen bewahren und im Ernstfall unterstützen können als auch Verwundete Kinderseelen heilen bieten zahlreiche Beispiele und Übungen um Kinder generell zu stärken aber auch um erste Hilfe zu bieten, um Traumata zu vermeiden - ganz egal ob es dabei um Unfälle oder sexualisierte Gewalt geht. 

 

Sollte ein Kind überwältigt sein von einer Situation, sollten wir als Eltern mir ruhiger Stimme versichern, dass wir

  • verstehen, was es durchmacht und die Gefühle bestätigen
  • wissen, wir helfen können und vermitteln, dass für solche Situationen Erwachsene zuständig sind
  • sich einsetzen, es zu schützen und für es zu sorgen
  • überzeugt sein, dass das Schlimmste vorbei ist, und dass es besser wird
  • beim Kind bleiben, bis es ihm besser geht. 
© Katja Grach - Peter Levine, Maggie Kline


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Das interessiert mich besonders:

Noch mehr zur Prävention:

Prävention durch Aufklärung
© Katja Grach - Damit mein Kind kein Täter wird