Aufklärung mit 5 Jahren? Muss das wirklich schon sein? Dabei setzen andere Aufklärungsbücher sogar schon noch früher an. Der Loewe Verlag denkt schon und gibt deshalb "Mein erstes Aufklärungsbuch" heraus. Dabei ist es noch viel mehr als das. Selbstvertrauen, Emotionale Entwicklung und Schutz vor Missbrauch sind ebenfalls Themen, die kindgerecht aufbereitet werden. Und groß genug geschrieben für ErstleserInnen!
Aufklärung zur Gewaltprävention
"Mein erstes Aufklärungsbuch" aus dem Loewe-Verlag ist eigentlich ein Sammelband bestehend aus vier Büchern. Geschlechtsverkehr kommt eigentlich nur auf einer Seite vor, im Rest davon geht's um Gefühle. Wieso? Das Hauptargument, weshalb Aufklärung auch schon für sehr junge Kinder vorgesehen wird, ist die Prävention von sexuellen Übergriffen. Dabei geht es nicht darum sexuelle Praktiken zu beschreiben oder nur vor fremden Männern mit Süßigkeiten zu warnen, sondern vor allem um Kinder auf die Wahrung ihrer persönlichen Grenzen aufmerksam zu machen. Und genau das tut auch "Mein erstes Aufklärungsbuch".
Teil 1 - Mein Körper gehört mir
Das Buch Mein Körper gehört mir!: Schutz vor Missbrauch für Kinder ab 5 beginnt mit Clara, die sich im Spiegel betrachtet. Der Text lautet: "Ich bin Clara und ich habe etwas ganz Besonderes: meinen Körper! Er gehört nur mir." So einfach und prägnant geht es Seite für Seite weiter. Nie stehen mehr als 2 Sätze auf einer Seite, die Ich-Form lädt zur Identifikation mit Clara ein, und die Zeichnung sehen wie klassische Kinderbuch-Illustrationen aus. Clara erklärt, wie sie ihren Körper wahrnimmt, in welchen Situationen sie gerne jemanden berührt, und in welchen nicht - z.B.:
- "Es ist schön kuschelig, wenn Papa mich im Arm hält. Ich schmuse gerne mit ihm."
- "Ich finde es eklig, wenn mir jemand einen dicken Schlabberkuss gibt. Auch das will ich nicht."
Außerdem spricht sie darüber, wie sie auf unliebsame Berührungen reagiert. Dabei werden verschiedene Situationen dargestellt. Wenn es zum Schluss darum geht, was ein Kind tun kann, wenn jemand nicht auf das "Nein" reagiert, werden die Sätze ein bisschen länger und die Hauptfigur Clara wendet sich direkt an die LeserInnen, sich helfen zu lassen, und sich jemandem anzuvertrauen. Und dann ist es auch schon aus.
Als Autor ist die Organisation pro Familia für diesen Teil des Buches angegeben.
Durch die einfache Gestaltung lädt das Buch zum selber Lesen ein. Gleichzeitig bietet es beim gemeinsamen Lesen viel Spielraum für Fragen und Gespräche.
Teil 2 - Ich und meine Gefühle
Das zweite Buch Ich und meine Gefühle: Emotionale Entwicklung für Kinder ab 5 geht noch ein bisschen weiter auf unterschiedliche Gefühle ein und ist untertitelt mit "Emotionale Entwicklung für Kinder ab 5." Autorin ist diesmal Holde Kreul. Wieder finden wir auf jeder Seite nur 2 - 3 Sätze, die diesmal unterschiedlichste Gefühle in der Ich-Form erzählen. Auf den Bildern dazu wechseln sich als Hauptfiguren ein Mädchen und ein Junge ab. Beide benennen jeweils ein Gefühl und beschreiben, wie sie sich dann fühlen - z.B.:
- "Wenn ich sauer und wütend bin, kann ich toben und brüllen".
- "Wenn ich jemanden lieb habe, kann ich ihn umarmen und mit ihm schmusen". (ist nicht im Sinne von küssen dargestellt)
- "Wenn ich neidisch und eifersüchtig bin, streiten meine Gefühle in mir. Ich bin enttäuscht und gleichzeitig sauer."
Ermunternd wird immer genauer erläutert, wie das mit der Angst ist und wenn jemand verletzt wird durch meine Eifersucht. Aber auch, dass andere Menschen für diese Gefühle auch Verständnis haben, und dass es gut ist Gefühle zu zeigen, weil dann auch andere darauf reagieren können.
Zusätzlich werden auch einige Situationen beschrieben, in denen eine/r manchmal nicht gerne seine Gefühle zeigen mag - z.B. aus Scham, Angst oder Aufregung. Ebenso Gefühlsverwirrungen und Aussagen wie "Reiß dich zusammen!" oder "Stell dich nicht so an!" werden besprochen.
Die letzte Seite schließt wieder positiv ab, und betont, dass alle Gefühle dazu gehören - die schönen wie die schwierigen.
Auch dieser Teil des Sammelbandes ist wieder fürs alleinige Lesen geeignet, als auch für gemeinsame Diskussionen zu bestimmten Situationen.
Persönliche Erfahrungen mit diesem Buchteil
Weil mein Kleiner auch immer wieder einmal Wutanfälle hat und es mir wichtig war, zu den Worten auch Bilder zur Verfügung zu stellen, mit denen er sich identifizieren kann, haben wir "Ich und meine Gefühle" schon oft durchgeblättert. Bei der Wutseite sind wir oft stehen geblieben und haben lang darüber gesprochen, wie und wo sich das im inneren anfühlt. Auch bei der Traurigkeit und Freude. Auch wer von uns in der Familie wann welche dieser Gefühle und warum hatte, war/ist immer wieder Thema. Immer wieder mal, wenn ich das Gefühl habe, er weiß nicht genau, wie er sich gerade fühlt, ziehen wir dieses Buch zu rate und schauen mal durch. Daraus ergibt sich eigentlich immer ein Gespräch.
Teil 3 - War ich auch in Mamas Bauch?
Endlich geht es um die Aufklärung. Aber zur Sache geht's ebenfalls nicht auf den ersten Seiten von War ich auch in Mamas Bauch?: Aufklärung für Kinder ab 5. In ähnlichem Stil wie in den vorangegangen Buchteilen nimmt die Autorin Dagmar Geisler die LeserInnen mit in eine Familie, bei der die Arbeitskollegin der Mutter zu Besuch ist und schwanger. Da der erste Satz bereits "Wir haben Besuch" lautet, haben LeserInnen gleich von Beginn an das Gefühl, ganz nah am Geschehen dran zu sein.
Diesmal ist der Text auf den einzelnen Seiten etwas länger, weshalb sich das Buch besser zum Vorlesen eignet.
Anlässlich des Besuchs von Lili wird nun auch die Mama befragt, wie das denn war, als sie selber schwanger war. Es wird über Ultraschallbilder, den Mutterkindpass und Erbsengröße geplaudert. Aber auch darüber, dass das Kind als Baby zuerst nur mal eine Eizelle war. Anschaulich wird beschrieben, wie diese Eizelle wächst und wächst - von Stecknadelkopf-Größe auf Gummibärchen-Größe auf Bonbon und so weiter. Die Samenzellen kommen an dieser Stelle noch nicht vor. Stattdessen geht es ausführlich weiter mit den Erfahrungen der Schwangerschaft (z.B. über die Schwierigkeit die Schuhe zu binden) , den Vorbereitungen (Babykleidung besorgen) und dem Vorgang der Geburt, dem Durchschneiden der Nabelschnur, dem ersten Stillen und dem ersten gemeinsamen Einschlafen nach diesem Abenteuer.
Nach so viel aufregenden Informationen bietet sich eine Pause an. Im Buch wird diese eingeleitet mit dem Vater, der nach Hause kommt, und der nun den Rest erzählen soll: nämlich wie das Kind in den Bauch kam.
Er spricht ganz kurz über die unterschiedlichen Stellen an den Körpern von Männern und Frauen und über das Gefühl des Verliebtseins bei Erwachsenen. Und dann geht's zur Sache. In ganz unspektakulärem Ton erzählt er kindgerecht über Lust und den vaginalen Geschlechtsverkehr (nicht in diesen Worten ;-) ). Dazu gibt's ein paar nette fröhliche Bilder. Schließlich geht es mit der männlichen Anatomie weiter und der Vermehrung der Eizellen. Und damit ist die "technische" Erklärung auch schon vorbei. Zum Abschluss wird noch über das Kennenlernen und die Verliebtheit der Eltern gesprochen, und wie schön es ist, dass das Kind, das all diese Fragen stellt jetzt da ist.
Durch den relativ knapp gehaltenen Teil, der sich mit der Zeugung beschäftigt, werden viele Fragen rund um die Schwangerschaft beantwortet, die für Kinder sicherlich genauso spannend sind und in anderen Aufklärungsbüchern oft zu kurz kommen.
Persönliche Erfahrungen mit diesem Buchteil
Auch hier waren wir schon fleißig am Durchblättern. Ganz ehrlich, die unten abgebildete Seite haben wir ausgelassen. Für einen 3-Jährigen finde ich sie noch nicht geeignet. Das Buch ist ja auch erst ab fünf Jahren. Aber dort, wo uns "Wie entsteht ein Baby?" zu unkonkret war in der Bebilderung, haben wir uns mit diesem Aufklärungsbüchlein nachgeholfen. Für J. war speziell interessant, was das Baby isst. Und wie das mit der Nabelschnur dann genau aussieht. Hier drin ist zumindest ein "Mutterkuchen" (Plazenta) zu sehen. Damit konnte er sich das besser vorstellen. Seither spielt er seine Geburt inkl. Mutterkuchen und Nabelschnur selber nach. :)
Teil 4 - So mutig bin ich!
Den Abschluss des Sammelbandes bildet das Buch So mutig bin ich! zur Stärkung des Selbstvertrauens für Kinder ab 5 Jahren - ebenfalls von Holde Kreul, die auch den zweiten Teil verfasst hat.
Hier war jemand anders bei den Illustrationen am Werk, dennoch passen sie gut dazu.
Wieder sind hier die Sätze relativ kurz und prägnant und für ErstleserInnen geeignet. Ebenso anregend ist der Text für Diskussionen. Er beginnt mit "Sollen wir dir mal erzählen, was wir alles können und was wir uns trauen?" Darauf folgen dann unterschiedlichste Situationen wie z.B.
- den Tisch alleine decken für die Geburtstagsfeier
- vom Sprungbrett im Schwimmbad springen
- ein Baumhaus bauen
- sich trauen, den Hund vom Nachbarn bewusst nicht zu streicheln, auch wenn jemand anders das möchte
- usw.
Außerdem werden verschiedene erste Male besprochen und wie sich das angefühlt hat, bis etwas geklappt hat. Angefangen beim alleine Einkaufen,
dem Inline-Skaten und Drachensteigen. Besonders gut gefällt mir immer wieder die bewusste Abgrenzung zu anderen, wenn jemand etwas nicht so möchte:
"Dann wollte Andi unbedingt, dass ich den Drachen genauso anmale wie er. Aber meine Farben und Muster haben mir super gefallen. Die habe ich lieber gelassen, auch wenn Andi das nicht verstanden
hat".
Auch Situationen, in denen ich lieber mit jemand anderen etwas zusammen mache, weil ich mich alleine nicht getraue, oder auch wenn sich jemand etwas nicht von mir zeigen lassen will, was ich besser kann, fehlen keines Falls. Gegen Ende dreht sich das Thema immer stärker in Richtung für seine eigenen Gefühle einstehen und bei Unverständnis bei Erwachsenen nachzufragen.
"Schlimme Geheimnisse darf ich erzählen, das ist kein Petzen," heißt es am Schluss - und damit schließt sich auch wieder der Kreis zum ersten Buch zur Missbrauchsprävention.
Fazit
"Mein erstes Aufklärungsbuch" bietet eine Fülle an Input und zwar in eine Richtung, mit der erwachsene LeserInnen vielleicht nicht rechnen. Die eigentliche Aufklärung ist dabei nur ein minimaler Teil. Stattdessen müssen wir uns fragen, wie oft wir mit unseren Kindern wirklich über Gefühle sprechen und sie daran bestärken, diese auch zu zeigen.
Der Sammelband zeigt auf wunderbare Weise, was alles zum Thema Sexualität dazugehört. Und wenn wir uns als Erwachsene an der Nase nehmen, fehlt es uns auch manchmal an Selbstvertrauen, "Nein" zu sagen und viel zu oft tun wir Dinge, weil wir glauben sie werden von uns erwartet (Stichwort Sex-to-do-Liste).
Das gilt aber weder für unsere Kinder, noch für uns. "Mein erstes Aufklärungsbuch" bietet nicht nur kindgerechte Aufklärung an, sondern ist im Endeffekt auch ein bisschen Mobbing-Prävention. Und es bietet uns hunderte von Anlässen über Gefühle mit unseren Kindern zu sprechen.
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