"Wann ist ein Mann ein Mann?" hat sich Kurt Cobain vielleicht mal gefragt, aber mit der Antwort ist er anders umgegangen als viele andere Rockmusiker. Mehr als 20 Jahre liegt sein Tod bereits zurück und abseits einschlägiger Kreise erinnert sich kaum noch jemand daran, dass der Nirvana-Frontmann Beyoncé und Emma Watson mit ihren Aufrufen zum Feminismus nichts nachstand.
Frauenkleider statt Macho-Musiker
Als Kurt Cobain starb, war ich gerade mal 9 Jahre alt. Warum, wieso und überhaupt ging an mir spurlos vorbei. Aber nicht so spurlos, dass ich nicht Jahre später noch immer Flanellhemden liebte, meine Partner in Ringelpullis zwang und die Musik Gänsehaut in mir verursachte. So richtig ins Herz geschlossen hab ich den Herrn Kurt allerdings erst, als mir die frohe Botschaft verkündet wurde, dass er Geschlechterrollen kacke fand.
Wirft mensch einen Blick zurück auf die 90er, fallen unweigerlich zahlreiche Boy Bands ins Auge. Gepaart mit jeder Menge Spice Girl Power und Venga Boys, scheint die damalige Sexyness gegen eine Nicki Minaj von heute zwar auf den ersten Blick unschuldig wie Walt Disney, aber ganz klar in der Vorstellung, was begehrenswerte Männer und Frauen sind (ebenso bei Walt Disney).
Kurt Cobain war da anders. Sicher, kaum einer der Grunge-Typen dieser Zeit strotzte nur so vor Muskelkraft, und über Axel Rose's Radlerhosen lässt sich heute auch streiten; aber dass sich ein männlicher Rockmusiker offen gegen Vergewaltigung, Homophobie, Sexismus und Rassismus ausspricht und auf Mackerhaftigkeit verzichtet, das war nicht gerade die breite Masse. Und selbst wenn seine diesbezüglichen Aussagen nicht überall abgedruckt wurden, so sind uns zumindest seine unaufgeregten Auftritte im Kleid bekannt. (Was Conchita Wurst kann, konnte Kurt Cobain schon in den 90ern). - Axel Rose allerdings, zeichnete sich durch homophobe, sexistische und rassistische Kommentare aus.
"Falls ein paar von euch auf irgendeine Art Homosexuelle, Leute mit anderer Hautfarbe oder Frauen hassen, tut uns bitte einen Gefallen...Kommt nicht zu unseren Konzerten und kauft unsere Platten nicht."
Kurt Cobain war ein Role Model für viele Jungs und ein Beispiel dafür, dass Rockmusik nicht zwangsläufig "hyper-männlich" sein muss, sondern dass es genauso viele Facetten von "Männlichkeit" gibt wie von "Weiblichkeit," und allem was dazwischen liegt. "Männlichkeit" durfte in seinem Fall auch heißen, zerbrechlich zu sein, an psychischen und physischen Schmerzen zu leiden; bis auf eine Ausnahme: seinem Leiden nachzugeben. Kurt Cobain starb nicht an Sex, Drugs & Rock'n'Roll wie andere aus der Generation Woodstock vor ihm, ihm wurde - soweit ich mich erinnere - auch keine Feigheit vorgeworfen wie kürzlich Robin Williams. Obwohl Selbstmord bei Männern keine unübliche Todesursache ist und in seinem Fall durchaus nachzuvollziehen, galt Kurt Cobain 1994 nicht als Feigling. Stattdessen sollten andere die Schuld an seinem Tod tragen, so unfassbar schien die Tat.
Aber dennoch, Kurt Cobain war ein junger Mann, mit dem sich andere junge Männer identifizieren konnten, ohne dafür an ihrem Sixpack zu arbeiten. Für Kurt Cobain musste sich niemand verändern. Nirvana sprach emotional an. Und er war politisch. Antirassistisch, gegen Homophobie und für Gleichberechtigung.
Wie kam er eigentlich auf die Idee Feminist zu sein?
Ihr kennt vermutlich den Song "Smells like teen spirit", der auf ein Parfum hinweist, dass in Kurts jungen Jahren gerade populär war. Auf die Idee, einen Song so zu nennen kam er eigentlich, weil niemand geringerer als eines der berühmtesten Riot Grrrls - Kathleen Hannah - "Kurt smells like teen spirit"an seine Wand geschrieben hat. Kurt Cobain war zudem mit einem Mitglied von Kathleens Band (Bikini Kill) zusammen: Tobi Vail. Und auch seine spätere Ehefrau Courtney Love war ihres Zeichnes ein Riot Grrrl der 90er.
Moment mal, wer sind diese Riot Grrrls?
Antwort: Die godmothers of girl power.
Ihr glaubt die Spice Girls hätten Girl Power erfunden? Nix da. Die Riot Grrrls waren das. Anfang der 90er mischten sie in den USA die Punkszene so richtig auf. Zahlreiche Bands mit knurrenden Mädchen (grrrls) brachten politische Themen auf die Bühne. Sie schrien ihre Wut über Inzest, Kindesmissbrauch und Vergewaltigung aus sich heraus, bastelten sogenannte Zines (selbstgemachte kleine Magazine), die sie direkt unter die Leute brachten, organisierten alles selber (DIY bis zum Umfallen), ließen nur Mädels ins Moshpit, veranstalteten Workshops zu den Themen, die ihnen am Herzen lagen und spielten mit den Klischees von Frauen als Schlampen, um die Doppeldeutigkeit daran aufzuzeigen. So hießen einige Bands: Hole, Nymphs, Burning Bush, Dickless, Babes in Toyland, Cunts with Attitude, 7-Year-Bitches, Queen Meanie Puss usw. Außerdem schrieben sie sich "Slut" auf den Bauch, traten mit verschmierten Lippenstift, zerrissen Strumpfhosen und Babydoll-Kleidchen auf um dabei über Inzest zu singen, oder verkleideten sich auch mal mit Schnurrbart oder Federboa, oder entblößten ihre linke Brust mit dem Kampfschrei "Suck my left one!" (in Anlehnung an "suck my dick" - Kathleen Hannah war die Tollkühne).
Die Riot Grrrls erweiterten die feministischen Diskussionsthemen um alles was mit "Girlhood" in Verbindung stand und von der zweiten Frauenbewegung in den 70ern ausgespart blieb.
Tja, in diesem Dunstkreis bewegte sich der ehrenwerte Kurt Cobain. Kein Wunder also, dass er für seine Zeit so "revolutionär" war.
Was wurde aus den Riot Grrrls?
Da die Mainstream-Presse eher Berichte nach dem Motto schrieb: "Geil! Mädels mit Kampfstiefeln und kurzen Röcken. Bisschen aufmüpfig ist ja sexy" und die frauenrechtlichen Themen da ziemlich außen vor ließ, beschlossen die Riot Grrrls einen Medienboykott und agierten weiter nur mehr im Untergrund, sozusagen. Courtney Love scheute allerdings den Medienrummel, der sicherlich auch mit der Popularität ihres Ehemannes zusammenhängt dann doch nicht ganz und ist seither vielen ein Begriff.
Ladyfeste, die vielen größeren Städten in der Welt stattfinden, sind die Nachfahren der Riot Grrrl-Zeit. Sie zeichnen sich ebenfalls durch einen starken DIY-Charakter aus, bieten Konzerte und Workshops zu etwas anderen Themen, wie z.B. Sexspielzeug aus Fahrradteilen basteln (was ich ja gemacht hab).
Findige Produzenten dachten sich allerdings: Gute Idee, diese Girl Power und was danach kam, war eine aalglatte Version in Form der Spice Girls, die zwar zu Freundschaft, Solidarität und Emanzipation aufriefen, aber die wirklich heiklen Themen ließen sie dabei aus und sexy galt als das neue emanzipiert. (Kathleen Hannah schaffte es dagegen auch in Unterhosen ins Mikro zu schreien, ohne dabei weder sexy noch unsexy zu wirken. Da brauchte es kein Popowackeln für die Botschaft.)
Kurt ist ja super, aber Courtney...
Was hat Courtney Love mit Yoko Ono gemeinsam?
- Beide waren mit außergewöhnlich populären Musikern verheiratet, deren Bands zerbrachen,
- beide waren Feministinnen,
- beide waren unabhängig von ihren Ehemännern künstlerisch tätig und erfolgreich,
- beiden wurde ein schlechter Einfluss auf ihre Ehemänner unterstellt,
- beide wurden medial als Hexen beschimpft,
- und beide werden gerne als Anhängsel ihrer verstorbenen Partner porträtiert.
„Reinkarnation der Dämonin Lilith“
„Bad Girl of rock“
„Courtney Love is […] a witch to be burned.“
Aber das ist nichts Neues. Es gibt von Leonhard (2007) eine Analyse über die unterschiedliche Berichterstattung von männlichen und weiblichen MusikerInnen, die scheinbar "einen an der Waffel" haben. Mit von der Partie sind dabei z.B. Björk, PJ Harvey, Richey Edwards und Kurt Cobain. Die Männer kommen dabei ziemlich gut weg, die Frauen werden meist als debile Irre dargestellt. Björk wird z.B. oft als liebliche Kätzchenfrau beschrieben und ist genauso wenig damit ernst zunehmen wie die "völlig durchgeknallte" Courtney Love. Überhaupt wird "Magisches" und "Wahnsinn" gerne mit einander verknüpft. Beides kann alles und nichts sein und kann deshalb relativ einfach für alles und jede herhalten. - Und da haben wir sie auch wieder, die "ungewöhnliche" Frau mit den Zauberkräften.
Ja aber Courtney Love ist ja auch ne schlechte Mutter.
Upps, "mommy wars" (Mütterkrieg). Ja, Courtney Love nahm Heroin. Ja, Courtney Love war Mutter. Kurt Cobain nahm auch Heroin. Kurt Cobain war Vater. Interessanterweise wird er aber nie als schlechter Vater diskutiert, der seine Band und sein Kind hat "sitzen lassen". Courtney gilt dafür aber auch noch als "schlechte Mutter" für die Riot Grrrls, weil sie diese ebenfalls hinter sich gelassen hat.
Es gibt da einen berühmten Artikel von 1992 in der Vanity Fair, der Courtney Love zwar als charismatische Rockröhre darstellt, die genau weiß was sie tut, der aber auch Gerüchte über ihre Heroinsucht streut und von einem Foto der schwangeren Sängerin begleitet wird, auf dem offensichtlich eine Zigarette aus ihrer Hand wegretuschiert worden war. Dieses Foto sorgte für mächtig Wirbel.
„Amerika sah sich mit seinem ärgsten Alptraum konfrontiert – alles, was je an einer Frau zum Fürchten war, fand sich nun in einer Person vereint: eine geldgeile, verbissene Karrieristin, eine sexuell aggressive Narzisstin und – am allerschlimmsten: eine Rabenmutter!“
Tja, für schlechte Mutterschaft und sexuell "aggressives" Verhalten mussten ja schon die bösen Frauen der Kultur- und Religionsgeschichte bestraft werden.
Nur fürs Protokoll: Kurt Cobain wird in einer Bandbiografie von 1989 zitiert "Wir wollen genauso wie die Bonzen abkassieren" und stand auf dem beschriebenen Skandalfoto direkt neben der schwangeren Courtney. Das seine schwangere Frau raucht, fand er offensichtlich nicht tragisch.
Gleichberechtigung im Sinne Kurt Cobains hieße, auch ihn zur Verantwortung zu ziehen.
Kurt Cobain war schon ein durchwegs reflektierter junger Mann. Die Frauen, die ihn geprägt haben, waren daran allerdings nicht unbeteiligt. Seiner Ehefrau, die durch ihr Verhalten, das mehr einem Rolling Stone gleicht als einem braven Weibchen, und all die andren Riot Grrrls, die medial viel zu früh in der Versenkung verschwunden sind, gebührt aber ebenfalls ein bisschen Respekt und Reflexion und die Frage, ob wir nicht mit zweierlei Maß messen, was Einfluss und Elternschaft betrifft.
Auch Feministinnen sind nicht ganz davor gefeit, wenn im relativ neuen "Riot Grrrl Revisited"-Buch zahlreiche grandiose Artikel über diese Bewegung versammelt sind und vorne dran zwei Zitate gestellt werden: eines von Kathleen Hanna, der Ikone der Grrrls - und eines von Kurt Cobain, der im Verlauf des Buches nur mehr als Randnotiz vorkommt...
Kurt Cobain hat die Anliegen der Frauenbewegung durchaus verstanden. Aber deshalb dürfen wir ihn nicht ganz "ungeschoren" davon kommen lassen.
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