Frauen sind Täterinnen, Männer sind Täter. Trotzdem gehe ich mit dieser Überschrift in eine Recht eindeutige Richtung. Warum? Ich frage mich, wenn wir schon als Eltern darum bemüht sind unsere Kinder vor sexuellen Übergriffen zu schützen, warum wir uns nicht auch darüber Gedanken machen, wie besonders aus Jungs keine Täter werden. Immerhin schreiben wir Männern genau das zu. Und die Statistik gibt uns ebenfalls recht. Was läuft da schief?
Julien Blanc war auch mal ein Kind...
Ich bin kein Fan von Pick-up-Artists - den selbsternannten "Verführern", die scheinbar jede Frau
flachlegen, in dem sie bestimmte "Tricks" anwenden. Aus vielen Gründen bin ich das nicht. Einer davon ist die Wahrnehmung von Frauen als Objekte, die nach "Fickbarkeits-Faktor" kategorisiert werden. Sowas finde ich unter aller Sau.
Julien Blanc hat so eine Wahrnehmung und erlangte zweifelhafte Berühmtheit, in dem
er Methoden bewarb, wie Mann Frauen auf der ganzen Welt auch noch würgen könnte. Seine Seminare besuchen hunderte, wenn nicht tausende junge Männer, die
dieses Verhalten scheinbar ebenfalls in Ordnung finden.
Warum findet jemand Gewalt generell okay?
Gewalt gehört zum Mann-sein. Männer sind am meisten von Gewalt betroffen. Als Ausübende und als die, die einstecken. Während für Frauen die Öffentlichkeit kein Ort ist, an dem sie sich generell zu fürchten bräuchten (mehr als 80% der Übergriffe passieren durch bekannte Personen und im Privaten), sind Männer hier eher in Gefahr. Klassische Kneipenraufereien, Revierstreitigkeiten - im Suff oder einfach so haben viel schon mal miterlebt. Wenn Reden nicht mehr hilft, gibt's eins auf die Rübe. So einfach ist das. Überfälle, Einbrüche, Sachbeschädigung, Drogenhandel - das hier hauptsächlich Männer am Werk sind, verwundert uns kaum. Einzelne korrupte und gewalttätige Frauen verwirren uns schon eher.
Wieso?
Wir bringen Jungs eher bei, sich zu "wehren" und betrachten Burschen-Raufereien eher als "sind halt Jungs". Bei Mädchen liegt uns mehr an diplomatischen Konfliktlösungen. Gewalt ist da seltener eine akzeptierte Lösung - auch bei starken Mädchen nicht. - Das sind Rollenbilder, die bereits seit hunderten Jahren existieren und sich erst langsam auflösen. Rauchende Frauen waren auch lange so ein No-Go. Mittlerweile sind sie Alltag, im Film trotzdem immer noch teils ein wenig verrucht und gefährlich.
Gewalt "gehört" zur Männlichkeit
Bei all den Studien, die immer wieder versuchen Unterschiede zwischen den Geschlechter aufzuzeigen kommt irgendwann immer der Punkt, an dem Aggression und Testosteron erwähnt werden. Dabei ist
die Frage hier erstmal: Wie wird Aggression definiert? Denn rechnen wir alle Formen von Aggression (auch verbale) mit ein, ist der Unterschied zwischen Männern und Frauen recht
gering. Abgesehen davon stellt sich bei Hormonen ohnehin die Frage nach dem Huhn und dem Ei. Aggressives Verhalten bewirkt höhere Testosteronausschüttung und
umgekehrt.
Gleichzeitig sind Wut, Zorn, Neid und Co. Gefühle, über die alle Menschen verfügen. Ebenso gibt es auto-aggressives Verhalten wie Selbstverletzungen, Missbrauch
von Drogen/Alkohol und Essstörungen bei allen Geschlechtern. Nach außen gerichtete Gewalt finden wir aber eher bei Jungs und Männern. Der Klassiker bei
Pubertierenden zB: Heruntergerissene Mercedes-Sterne und Autospiegel, zerkratzter Lack, umgeworfene Mülleimer usw. - und das nicht selten in der Gruppe.
Wozu? Und was passiert da?
Im Artikel über Jungs als Opfer von sexualisierter Gewalt habe ich bereits
angesprochen, dass Männer hart und stark sein "müssen". Dass für "Waschlappen" und "Softies" kein Platz ist. "Jungs weinen nicht" ist noch immer ein starkes Credo. Gleichzeitig muss
auch demonstriert werden, wie viel sich einer traut, welche Grenzen er überschreitet. Und damit steigt auch die Hierarchie unter den Platzhirschen.
Der Männlichkeitsforscher Michael Meuser beschreibt das auch als "Ernste Spiele". Wenn erwachsene Männer sich an Kreuzungen begegnen, beginnen sie oftmals ohne besonderen Grund
mit dem Typ auf der anderen Spur um die Wette zu fahren. Auch das sich Übertrumpfen in der Anzahl von alkoholischen Getränken - ja sogar die Alkoholvergiftung selbst - kann als
Männlichkeitsbeweis in bestimmten Kreisen gelten. Immer wieder geht es um Konkurrenz, wer traut sich mehr, wer übertritt mehr Grenzen - die der anderen, und die eigenen. Die
MTV-Serie "Jackass" ist ebenfalls ein gutes Beispiel dafür.
Gewalt an sich selbst und Gewalt an anderen bedeutet
ein Übertreten von Grenzen und
ein Ausweiten des eigenen Machtbereichs.
Gewalt ist Macht bei eigentlicher Ohnmacht
In den letzen Monaten wurde immer wieder in den Medien diskutiert, welche Gewaltanwendung bei Kindern denn okay sei. Da sprachen manche von Ohrenziehern, andere von "würdevollem" Schlagen (nicht ins Gesicht). Doch Gewaltanwendung bei Kindern, die Erwachsenen ohnehin durch ein Autoritätsverhältnis in gewissem Sinne ausgeliefert sind, zeigt eigentlich nur die Ohnmacht der Erwachsenen auf, die sich nicht mehr anders in dieser und jener Situation zu helfen wissen. Meinem Bedürfnis nach Ruhe, Liebe, Anerkennung meiner eigenen Grenzen etc. wird nicht nachgekommen, also übertrete ich die Grenzen des/r anderen - mit Gewalt (physisch, sexuell, verbal).
Werden meine Bedürfnisse nicht wahrgenommen, hole ich mir was ich brauche - wenn es sein muss mit Gewalt.
Die Sache mit den Bedürfnissen...
Thomas Hahn ist Jugend- und Heimerzieher, Sexualpädagoge und Täterbehandler. Kennengelernt habe ich ihn durch MY.SIZE einer Kondommarke, die mehr will, als passende Kondome an den Mann zu bringen, sondern auch das Gespräch für männliche Bedürfnisse öffnen möchte. Thomas ist Vertriebs- und Marketingleiter der Marke und sieht den übermächtigen, genitalen Bewertungsdruck auf Männer als einen zentralen Aspekt dafür, warum Männer seit Generationen das Sprechen über Bedürftigkeit fürchten, den "Schwanz einziehen" und Bedürfnisse und Aggressionspotentiale in sexualisierte Übergriffigkeit lenken.
Nachfolgend übergebe ich ihm das Wort:
"Übergriffigkeit - sehr häufig von Jungen ausgehend - wird mittlerweile als das Anzeichen einer nicht erlernten oder verlernten Fähigkeit verstanden, menschliche Bedürftigkeit sozialverträglich auszudrücken und zu leben.
Die Glücksspirale - wenn das mit den Bedürfnissen gelingt
Kinder kommen eigentlich schon bei der Geburt mit all den vitalen Fähigkeiten, die sie zum Überleben benötigen auf die Welt: Babys zeigen uns ja von Anfang an was sie brauchen und tun damit alles, was sie von ihrer Seite aus für ihr Überleben tun können: Erfolgreich gelingt das Projekt gutes Leben jedoch nur, wenn die Umwelt - mit der sie sich in den ersten Lebensjahren als eins erleben, diese Signale hört und versteht.
Gehen wir also mal davon aus, es klappt:
Im günstigsten Fall wachsen Kinder in das Gefühl hinein, die Welt heiße sie willkommen. Auf ihre Bedürftigkeit, die sie ja von Beginn an ausdrücken, wird eingegangen und so verankert sich im frühkindlichen Bewusstsein: Ich zeige mein Bedürfnis, werde gesehen, fühle mich getragen, bin genährt, gewärmt, in Sicherheit - und in Verbindung! Die Welt ist gut.
Genauso wie das Bedürfnis nach Sicherheit und Beziehung ist im Menschen die Fähigkeit angelegt, sich einzufühlen. Das gelingt uns ja auch meist, aber nur dann, WENN ich ein Gefühl von Sicherheit als Grundlage in mir trage. Diese elementare Erfahrung von Sicherheit sichert also für das gesamte Leben den Wunsch zu weiteren, gelingenden Kontaktaufnahmen in der als so freundlich erlebten Umwelt.
Die Kernfrage ist also:
WIE können wir eine hilfreiche Atmosphäre für ein
kraftvolles, neugieriges und gesundes Wachstum
- körperlich UND seelisch - gestalten,
um soziale Kompetenz und Integrität in unseren Kindern wachsen lassen?
Gelingt und das, können wir entscheidend für den Erhalt dieser Fähigkeiten sorgen,
die im Idealfall eine Welt ohne Täterschaft hervorbringen.
Die Wutspirale - wenn das mit den Bedürfnissen nicht gelingt...
Es geht aber auch anders:
Denken wir: " Oh nein, schon wieder schreit der, der weiß genau, wie er mich in den Wahnsinn treibt" - und lassen den kleinen Sohnemann schreien; er ist ja ein Junge und soll sich schon mal an das Leben gewöhnen, ist ja kein Zuckerschlecken hier und Ponyhof sowieso nicht!...."?
Erleben wir Bedürftigkeit unserer Babys und Kinder als Gängelung und Schikane, werden sie sich nicht verstanden fühlen und verstummen. Wenn meine eigene Bedürftigkeit als Baby/Kind nicht gut versorgt wurde, erlebe ich die des Kindes sogar noch als Konkurrenz und kann nicht angemessen darauf eingehen. Unser Blick auf die Welt prägt den Blick, den auch unsere Kinder entwickeln.
Babys VERlernen mit dieser Haltung also eher sogar eine Fähigkeit und machen eine Erfahrung, die heißt: " Es hilft nicht, dass ich mein Bedürfnis äußere. Ich verstumme, bin frustriert und werde wütend." Ihr Bedürfnis bleibt dasselbe, die Energie umgewandelt und damit das Mittel, es zu befriedigen ein anderes.
Jedoch wird über Not und eventuell darauf folgende Übergriffigkeit kein gelingendes Verbinden zwischen Menschen mehr möglich: Eine VERlernte Fähigkeit also, die zusätzlich nicht mal sättigt - weder körperlich und seelisch. Natürlich bleiben wir nicht auf der Stufe der Bedürftigkeit und Abhängigkeit eines Säuglinges stehen; trotzdem prägen diese ersten Erfahrungen unsere weiteren Lernschritte im Aushandlungsprozeß unserer Bedürftigkeit an das Angebot und die Möglichkeiten unserer Umwelt.
So legen wir einen genauso gut funktionierenden Kreislauf an
wie im gelingenden Beispiel.
Leider nicht mit einer "Glücksspirale",
sondern eher mit einer Wut - und Aggressionsspirale.
Die Bedürftigkeit im Hintergrund bleibt dieselbe. Nur der Ausdruck verändert sich und wird zu einem gesellschaftlichen Problem.
Das Symptom: Übergriffigkeit.
Der Symptomträger: meist Jungen und Männer.
Wir sollten diesen eindeutigen Hinweis als Einladung verstehen, unsere Haltung im Umgang mit männlicher Bedürftigkeit zu überprüfen. Wir müssen lernen zu verstehen, welches Bedürfnis hinter
dieser Problematik steht. "
Täter werden gemacht - von der Gesellschaft, die sie verurteilt.
Auch ein Kreislauf, der funktioniert.
Was können wir als Eltern tun?
Thomas Hahn erklärt hier ja ziemlich eindrücklich, wie die Grundsteine von Übergriffigkeit gelegt werden. Dass Gewalthandeln von Jungs in unserer Gesellschaft auch noch eher akzeptiert wird, habe ich eingangs schon erwähnt. Zwischen Täter- und Opferschaft kann also eigentlich nicht wirklich ein Trennstrich gezogen werden. Für die Täterprävention gelten daher dieselben Tipps, wie ich sie auch schon für "Wie kann ich mein Kind vor sexuellem Missbrauch schützen" und "Jungs als Opfer von sexueller Gewalt" beschrieben habe.
- Achte darauf, welches Verhalten du bei deinem Sohn bestärkst und welches du als unpassend empfindest. Darf dein Kind all seine Gefühle zeigen, oder gibt es auch welche, die besser runtergeschluckt werden sollen?
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Wie viel Gefühl zeigst du als Papa vor deinem Sohn?
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Fördere das Sprechen über Gefühle. Anregungen dazu findest du auch hier.
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Ich nehme mal an, das machst du schon längst, oder?
- Wenn du deinem Kind durch Körperkontakt und Nähe zeigst, dass du des lieb hast,
- dich für sein Leben interessierst,
- es lobst - und zwar nicht nur für die großen Dinge sondern auch für die kleinen alltäglichen,
- wenn du dein Kind ermunterst, etwas auszuprobieren, und nicht aufzugeben, wenn etwas nicht sofort klappt,
- wenn du des nicht drängst etwas zu tun, was es überfordert und Geduld und Vertrauen in seine Fähigkeiten hast,
- es nicht mit anderen vergleichst,
- ihm ermöglichst sein Verhalten zu überdenken, anstatt zu beschimpfen, zu schlagen oder Vorwürfe zu machen,
- und wenn du zeigst, dass du es als Person akzeptierst, aber gerade das Verhalten nicht in Ordnung findest...
...dann wächst dein Kind sicher zu einem
selbstbewussten Menschen heran,
dessen Bedürfnisse nach Beziehung und Sicherheit
erfüllt werden und der sich
in andere ebenfalls einfühlen kann.
*Danke an dieser Stelle für den fachlichen Input von Thomas Hahn von MY.SIZE, Michael Kurzmann vom Verein für Männer und Geschlechterthemen in Graz und einem weiteren Mitarbeiter von Hazissa, der Fachstelle zur Prävention sexualisierter Gewalt in Graz.
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